Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
herauszukratzen, daß es für ein paar Tage reicht, würde ich das als ein großes Glück betrachten, denn die ganze Gegend ist vollkommen zerstört, die Menschen sind tot [oder sind] fortgezogen in die befestigten Städte, und alles so verödet, als habe man mit dem Besen gekehrt, und in summa ist kein Strohhalm zu bekommen, von besseren Dingen ganz zu schweigen.
Dass die Armee sich unter diesen schwierigen Verhältnissen nicht auflöste und unterging, grenzt natürlich an ein Wunder, aber ein Wunder, das teilweise der geschickten Führung Banérs zu verdanken ist; denn auch wenn es ihm nicht immer gelang, seine Offensiven zu Ende zu führen, war er ein unumstrittener Meister des Rückzugs.
Nachdem sie durch die gebirgigen Gebiete an der böhmischen Grenze gezogen waren und das Flachland im südlichen Sachsen erreicht hatten, gaben die Verfolger ihre Sache mehr oder weniger verloren, und als Banérs Männer nach ein paar Tagen auch zu ihrer eigenen Verwunderung Kontakt mit der französischen Armee und den Bernhardinern bekamen, begannen alle zu ahnen, dass die Krise vorüber war, zumindest für dieses Mal. Während der letzten Märztage wurde Banérs Armee in die Gebiete südlich von Leipzig verlegt, nicht allzu weit entfernt von den alten Schlachtfeldern bei Lützen und Breitenfeld. Noch einmal hatte das große Rad ein volle Umdrehung gemacht. Rundum am Horizont stiegen schmutzig-schwarze Rauchwolken zum Frühlingshimmel auf; sie kamen von Dörfern und Höfen, die nicht in der Lage gewesen waren, der schwedischen Armee Lebensmittel zu geben, und nun bestraft wurden.
Banér selbst nahm Quartier im Schloss in Merseburg, westlich von Leipzig. Er musste dorthin transportiert werden, in seine vergoldete Karosse gebettet, gelblich bleich und mit schwerem Schüttelfrost. Schon während des Rückzugs hatte er sich nicht wohl gefühlt, er hatte leichtes Fieber gehabt und Blut gehustet. Er selbst glaubte, die Blutungen seien entstanden, als er eines Tages einen ungewöhnlich heftigen Wutanfall gehabt hatte. In Merseburg blieb er liegen, zeitweise ohne zusammenhängend sprechen zu können, in einem fiebrigen Dämmerzustand, hustete und erbrach Blut, während ein Dutzend schnell hinzugerufene Ärzte um sein Bett herumstanden und tuschelten.
In Europa waren die Ärzte – oft schwarz gekleidet und mit eigenartigen Hüten – nicht sehr zahlreich und ihre Dienste teuer, sodass in der Regel nur Wohlhabende wie Banér ihre Hilfe in Anspruch nehmen konnten. Aber ihr Renommee war nicht das Beste. Zwar waren sie an Universitäten geschult, aber die Ausbildung, die sie dort erhielten, war, wie bereits erwähnt, streng konservativ, was dazu führte, dass die Ärzte in einem Dunst von gelehrtem Geschwafel dasaßen und an vielen veralteten Dogmen festhielten, die von unabhängigen Forschern längst verworfen waren. Dass man eine ganze Schar von Ärzten an Banérs Krankenbett rief, zeigt nur, wie verzweifelt man war, denn die Ärzte standen in dem Ruf, sowohl unwissend als auch ungeschickt zu sein. (Von untauglichen Doktoren und ihrer Unfähigkeit, ihre Patienten zu heilen, handeln nicht weniger als vier von Molières Komödien, was sicher damit zusammenhängt, dass er die medizinische Fakultät der Universität in Paris kannte, die wahrscheinlich die verstaubteste in ganz Europa war, was nicht wenig besagen will.)
Die meisten Menschen waren der Meinung, der Zustand des Körpers werde von der Seele gelenkt, in der gleichen Weise, wie die Schöpfung von Gott gelenkt wurde. Und genau wie die Schöpfung war auch der Körper der Schauplatz eines ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, und Krankheiten wurden im allgemeinen Bewusstsein mit diesem Kampf in Verbindung gebracht. Unter den Ärzten und auch unter vielen Laien dominierte eine vorwissenschaftliche Variante dieser Auffassung. Das meiste, was die Doktoren im 17 . Jahrhundert taten, dachten und sagten, beruhte auf der zum unumstößlichen Gesetz erhobenen Humoralpathologie, die besagte, dass die Gesundheit letztendlich davon abhing, ob die vier Körpersäfte – das Blut, der Schleim, die gelbe Galle und die schwarze Galle – die richtige Mischung aufwiesen. Krankheiten beruhten dieser allgemein anerkannten Theorie zufolge auf einer Störung der Balance zwischen diesen Säften und wurden deshalb am besten durch verschiedene Abzapfungen kuriert. Dies ist der Grund dafür, warum die Ärzte mit solch unverstellter Begeisterung ihre Patienten einem wahren Sperrfeuer von Aderlässen,
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