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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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auf irgendeine mystische Art und Weise zum Besten des Trägers.) Eine einmal entdeckte Allegorie wurde als Schlüssel zum wahren Wesen der Welt betrachtet. Dies gründete letztlich in der Vorstellung von Makrokosmos und Mikrokosmos, von dem Großen, das sich im Kleinen spiegelt. Im 17 . Jahrhundert waren die Menschen fest davon überzeugt, dass das Dasein aus einer Reihe korrespondierender Ebenen bestehe, und durch die Aufdeckung der Parallelen zwischen diesen könne man zur innersten Ordnung der Schöpfung vordringen. Diese Überzeugung wurde überall in der Kunst ausgelebt, die zum Bersten gefüllt war mit Allegorien und Symbolen, aber sie existierte auch in anderen Bereichen, nicht zuletzt in der Wissenschaft. Selbst sehr bedeutende und moderne Forscher wie Kepler – der den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist im Sonnensystem erblickt hatte – und Descartes – der durch ein mystisches religiöses Erlebnis zum Studium der Mathematik und Philosophie angeregt wurde – waren von dieser traditionellen Art zu denken beeinflusst. Überall sah der Mensch des 17 . Jahrhunderts universelle Zeichensysteme, die es zu deuten galt, auch in scheinbar so banalen Dingen wie einem Federbusch am Hut oder der Sitzordnung an einem Tisch. Deshalb kämpften auch die Mächtigen mit solcher Inbrunst für ihre Symbole: Nur Macht, die aussah wie Macht, war wirklich Macht.
    Es muss allerdings betont werden, dass das Gerangel um Zeremonien und anderes in Westfalen teilweise auch reine Verzögerungstaktik war. Der Krieg tobte ungebrochen weiter, und alle Gesandten saßen in den Verhandlungen mit einem Auge auf die Nachrichtenbulletins. Alle Beteiligten hofften, dass die Entwicklung auf dem Schlachtfeld gerade
ihre
Verhandlungsposition stärken würde, also warum hetzen? Zum Beispiel hatte der schwedische Überfall auf Dänemark den gesamten Friedensprozess verzögert. Diese Aktion ließ den Kaiser hoffen, dass Schweden sich möglicherweise aus eigenem Antrieb aus dem Krieg zurückziehen werde, und seine Bereitwilligkeit, in Münster und Osnabrück zu verhandeln, ließ sogleich nach – der neue Konflikt im Norden führte also wahrscheinlich dazu, dass der deutsche Krieg um mindestens eineinhalb Jahre verlängert wurde. Und wenn es für die schwedische und französische Armee wieder gut zu laufen begann, begannen die Diplomaten dieser Länder sogleich, sich aufzuplustern und ihre Forderungen zu erhöhen. Es wurde nicht leichter dadurch, dass so viele Staaten mit so unterschiedlichen und gegensätzlichen Interessen in die Verhandlungen verwickelt waren. Alles in allem wurden die Verhandlungen von 176 Gesandten geführt, die nicht weniger als 194 kleine und große Fürsten vertraten.
    Es wurde nicht gerade leichter dadurch, dass Mitglieder ein und derselben Delegation zuweilen mit unterschiedlichen und sogar gegensätzlichen Instruktionen versehen waren und deshalb gegeneinander arbeiteten. Außerdem wurde die ganze Entwicklung hin zu einem deutschen Frieden noch dadurch verzögert, dass die verschiedenen Machtzentren des deutschen Reiches – und damit sind nicht nur die Fürsten gemeint, sondern alle organisierten Gruppen wie zum Beispiel Reichsstädte und Stände, alle, die in irgendeiner Weise die Entwicklung beeinflussen konnten – weiterhin einstimmig nach Frieden riefen, ohne aber größere Bereitschaft zu zeigen, etwas dafür zu opfern, dass dieser zustande kommen konnte. Obwohl das Reich nach 27 Jahren Krieg vollständig am Boden lag, war es immer «der andere», der für den Frieden bezahlen sollte, und immer gab es jemanden, der bereit war, noch eine kleine, ganz kleine Weile zu kämpfen, um einen heißersehnten Vorteil zu erringen oder einen befürchteten Verlust zu vermeiden. Das Resultat war ein vollständiger Albtraum. Wenige glaubten noch daran, dass der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden werden könne; aber neben diesen gab es viele, die mit einigem Recht bezweifelten, dass es eine politisch-diplomatische Lösung gab. Die Ehefrau eines der französischen Gesandten war schwanger, als der Kongress im Dezember 1644 eröffnet wurde, und einer der Teilnehmer merkte verdrossen an, dass das Kind sicher erwachsen, gestorben und begraben sein werde, bevor die Friedensverhandlungen zu einem Ende gekommen seien. Vorbei war die Zeit, da die Menschen ihre eigenen Regeln und Bedingungen aufstellten für das, was geschah. Die Militärs waren seit mehreren Jahren Gefangene des Systems, und nun schienen auch die Diplomaten von dessen

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