Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
drei Liter Wein pro Mann und Tag hinunterschütteten, «so daß sie möglicherweise zu benebelt waren, um sich noch wegen der Betten zu streiten».) In den engen Straßen der Stadt sah man goldglänzende Karretten und Karossen und Paraden livreebekleideter Diener, und die Luft klirrte von stolzer Musik. Der dünkelhafte Johan Oxenstierna gehörte zu den Unterhändlern, die mit einer solchen Prachtentfaltung auftraten, dass sogar die für gewöhnlich wohlequipierten Franzosen beeindruckt waren. Er bewegte sich ausschließlich in dem von Hellebardieren umgebenen Wagen der Königin, wenn er zu Abend speiste, wurde stets mit «Flöten, Trompeten und Posaunen» musiziert, und jedes Mal, wenn er sich müde fühlte und schlafen legte oder umgekehrt sich frisch fühlte und aufstand, wurde dieses bedeutungsvolle Faktum mit Hilfe von Pauken und Trompeten der Umwelt kundgetan. Die Diplomaten führten solche Scharen von Dienern, Pagen und streitsüchtigen Wachen mit sich, dass die Ordnung binnen kurzem schwer gestört war. (Bei einer Gelegenheit meinten die Diener des französischen Gesandten Abel Servien, Comte de la Roche des Anbiers, dass die Latrinenentleerer auf ihren nächtlichen Fahrten vor ihrem Fenster zu viel Lärm und Gestank machten, und sie versuchten, sie handgreiflich zurechtzuweisen, worauf eine gigantische Schlägerei ausbrach, die damit endete, dass die Franzosen Prügel bezogen.) Bettler und Huren strömten ebenfalls in die Stadt, zusammen mit Malern, Graveuren und Gruppen englischer und polnischer Komödianten.
Das Durcheinander auf Straßen und Plätzen wurde nur noch von dem Durcheinander in den Verhandlungssälen übertroffen. Es dauerte sechs Monate, bis man sich erst einmal darüber geeinigt hatte, wie die Versammelten sitzen und in welcher Reihenfolge sie die Räume betreten und diese verlassen sollten. Franzosen und Schweden, Brandenburger und Spanier zankten frisch drauflos, das Gleiche taten die Delegierten Venedigs und der Hanse, und selbst innerhalb der Delegationen war man zerstritten, denn derer, die sich selbst wichtiger nahmen als ihren Auftrag, waren viele:
So Worte hinter Worten sich verbergen
und Handlung in gleichgült’ger Handlung.
Die deutschen Kurfürsten weigerten sich zu erscheinen, bis sie wie der Gesandte Venedigs mit Exzellenz betitelt wurden, der französische Ambassadeur Longueville wollte seinerseits auf keinen Fall kommen, bevor er nicht den Titel
Altesse
erhielt, und die Holländer fanden, dass sie, ihrer Staatsform zum Trotz, den Rang einer Monarchie haben sollten. Die Spanier überfielen das Domizil des portugiesischen Gesandten, und als der päpstliche Nuntius in der größten Kirche einen großen Tisch für sich allein aufstellte, verlangten die Franzosen, dass dieser auf der Stelle entfernt werden solle. Ein wesentlicher Teil der Zeit wurde darauf verwandt, sich an der eigenen Beredsamkeit zu berauschen und umständliche lateinische Rhetorik abzufeuern; so hieß es beispielsweise von dem französischen Legaten d’Avaux, er opfere lieber die Interessen seiner Regierung, als eine Gelegenheit zu verpassen, in eine richtige klassische Tirade auszubrechen.
Alle diese umständlich in die Länge gezogenen Präliminarien waren die Folge einer Besessenheit dieser Epoche von Zeremonien und Symbolen. Diese Besessenheit entsprang der festen Gewohnheit der Menschen des 17 . Jahrhunderts, ständig ihre Welt so zu betrachten, als sei sie eine Allegorie, und ständig mit Hilfe von Analogien Erklärungen zu suchen und Beweise zu führen. In einer Gesellschaft, in der die Lesefähigkeit beschränkt war, spielten Symbole und Allegorien natürlich eine große Rolle. Allegorien verschiedener Art waren jedoch weitaus mehr als Illustrationen, sie waren Beweise an sich. Bilder aus der Natur oder der Geschichte oder dem Alltagsleben hatten für diese Menschen ein ganz anderes Gewicht, als sie es heute haben. Für uns ist das Symbol nur ein Zeichen für etwas anderes. Damals stellte man sich vor, dass eine symbolische Handlung oder ein Gegenstand einen greifbaren Effekt haben konnten. Das Symbol konnte die Eigenschaften des Symbolisierten besitzen, und ein Ding konnte seine Eigenschaften auf den Besitzer übertragen – und umgekehrt. (Reste dieser älteren Art zu denken finden sich beispielsweise in der Verehrung von – um nicht zu sagen: dem Aberglauben an – allen möglichen Kostbarkeiten. Das Kostbare und Glänzende wurde mit dem Guten und Glückbringenden gleichgestellt und wirkte
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