Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
dänischen Standesgenossen in die Knie sanken. Andererseits: Wer wusste, wie lange die schwedischen Bauern ihre Sonderstellung behalten würden, nun, da immer mehr Grund und Boden im Reich – wie zum Beispiel die elf Kirchspiele in Södra Möre – in einem immer rascheren Tempo in den Besitz des Adels überführt wurden?
Die Gotländer gehörten zu denen, die die Umstellung mit einem gewissen Gleichmut hinnahmen. Sie hatten lange für sich selbst gelebt, von den Regierenden in Kopenhagen mehr oder weniger vergessen. Wenige fühlten sich als Dänen. Sie waren kurz und bündig Gotländer, und den meisten scheint der Wechsel der Herren recht gleichgültig gewesen zu sein. Es hatte hier und da Unzufriedenheit mit der dänischen Herrschaft gegeben, und diejenigen, die ihr feindlich gesinnt waren, betrachteten Christians Niederlage mit einer Mischung aus Schadenfreude und Hoffnung. Die Einzigen, die Grund hatten, der Zukunft mit berechtigter Sorge entgegenzusehen, waren die Geistlichen – die in den meisten Fällen dänischer Herkunft waren – und die dänischen Obrigkeitspersonen, die jetzt ihre Karriere in den Schornstein schreiben konnten. Wahrscheinlich waren es wenige, die sich wirklich etwas aus dem Wechsel machten. Der Krieg hatte Gotland zum Glück nicht berührt, und die meisten wussten wenig von dem, was geschehen war, was geschah und was geschehen würde.
Mitte Oktober 1645 liefen sieben schwedische Schiffe Slite im Nordosten Gotlands an. Ein Regiment schlecht bekleideter Österbottninger, die zuvor in Schonen gekämpft hatten, zwei Kompanien småländischer Reiter und Gotlands neuer schwedischer Landeshauptmann gingen an Land. Sie schlugen den Weg nach Visby ein. Die Schweden waren nicht übermäßig beeindruckt von dem, was sie sahen – «viel Steine, Felsen und Wald, wenig Äcker, wenig Wiesen, viele Füchse, die großen Schaden anrichten» –, und ihre Gefühle veränderten sich nicht nennenswert, als sie die Stadt erreichten.
Chaos war ein wichtiger Bestandteil der Gedankenwelt des 17 . Jahrhunderts, eine Art umfassendes Symbol für den politischen, ökonomischen und moralischen Verfall, in den, wie man meinte, die Welt geraten war. Die in dieser Epoche Lebenden fühlten sich oft als kraftlose Nachkommen, als Epigonen, die in einer rasch zerfallenden Welt lebten, die nur noch ein Schatten ihres ursprünglichen Zustands war. Alle Gebildeten schwärmten intensiv für die Antike, die für sie ein entrücktes Goldenes Zeitalter war, das man bestenfalls nachahmen, nie aber erreichen konnte. Man sprach von «der alternden Welt» –
senectus mundi
: Früher war es so viel besser gewesen, doch nun ging es in jeder Beziehung abwärts, auch in der Natur. Der Poet Lars Wivallius dichtete düster:
Das Werk der Welt bald abgelaufen ist
Nun schlägt die letzte Stunde.
Ja, merk dies wohl: Bald endet die Frist,
All’ Ding neigt sich müd schon zum Grunde.
Suche Gunst, tu Genüge deiner Pflicht,
Bald ist die Zeit geschwunden.
Die Vorstellung, dass die Welt eine Art Organismus sei, der im Begriff war, aus reiner Altersschwäche in sich zusammenzufallen, war das Pendant der Intellektuellen zu den noch haarsträubenderen apokalyptischen Untergangsvisionen, die unter Theologen unterschiedlicher Schattierungen und unter den kleinen Leuten im Schwange waren. Dieses, gelinde gesagt, düstere Bild der Welt, das im 17 . Jahrhundert Allgemeingut gewesen zu sein scheint, war der Reflex eines Kontinents in der Krise, der gelähmt war von einem quälenden Gefühl von Ungewissheit, besessen von unkontrollierbaren Kräften, die Länder zerstören und Reiche erschüttern; und da niemand weiß, wie diesen Kräften Einhalt zu gebieten ist und wie man sich aus der Misere befreit, stellt man das, was geschieht, als etwas mehr oder weniger Naturgegebenes dar, das folglich unmöglich zu beeinflussen ist.
Visby im Jahr 1645 eignete sich wahrlich als Sinnbild der alternden Welt. Der mittelalterliche Glanz der Stadt war geschwunden, und nach einer längeren Periode nachlassender Konjunkturen und wirtschaftlicher Schwierigkeiten war sie nur noch ein Bild des Jammers. Überall sah man verlassene oder verfallene Gebäude, und eingeklemmt zwischen den schiefen Ruinen von Häusern und Kirchen – die von Zeit zu Zeit einstürzten und den einen oder anderen unglücklichen Passanten unter sich begruben – standen Gruppen kleiner, teergestrichener Schuppen. Das damalige Visby glich manchem kleinen schwedischen Ort, den optimistische
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