Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Kanäle für Hoch und Niedrig noch eine große Rolle. Gewöhnliche Sterbliche waren in der Regel weiterhin auf die Berichte angewiesen, die langsam und verzerrt von Mund zu Mund wanderten.
Aus diesem Grund gingen Erik Jönsson und die meisten Menschen, die in Deutschland lebten, am Abend des 14 . Oktober 1648 zu Bett, ohne zu wissen, dass der Krieg beendet war.
Einige der zahlreichen militärischen Reformer und Neudenker des 17 . Jahrhunderts nährten den Traum von der Armee als einer perfekt funktionierenden und in allen ihren Einzelteilen lenkbaren Maschine. Zwischen Ideal und Wirklichkeit lag allerdings meistens eine meilenweite Kluft; davon zeugten die chaotischen Schlachten, die alle Generale verabscheuten, weil sie praktisch unmöglich zu lenken waren; davon zeugten die ruckhaften Kriegsbewegungen, die mehr von dem verfügbaren Unterhalt, vom Wetter, von politischen Rücksichten und der schlechten Disziplin der Truppen bestimmt wurden als von eventuell genialen Plänen. Doch auch wenn man die Heere nicht als fehlerfreie Uhrwerke bezeichnen kann, gab es einige Teilbereiche, in denen sich ein hohes Maß an Verfeinerung, ja sogar so etwas wie Meisterschaft entwickelt hatte. Allzu oft hegen wir, die wir heute leben, eine sonderbare Verachtung für die Menschen, die früher lebten; wir vergleichen stolz die ungeheuren wissenschaftlichen und technischen Fortschritte unserer Zeit mit der Armut und Hilflosigkeit jener Zeit und sehen deshalb zum Beispiel auf die Menschen des 17 . Jahrhunderts herab, als seien sie weniger kenntnisreich gewesen. Das ist natürlich falsch. Zweifellos verfügen wir über unendlich viel mehr Kenntnisse als sie, doch wenn man dieses Verhältnis etwas genauer betrachtet, sind es eher wir als Individuen, die hilflos erscheinen; wir leben in einer Gesellschaft, die auf einer weitgehenden Spezialisierung aufbaut: Jede Person weiß immer mehr über immer weniger, und unsere Kenntnisse nehmen ständig zu, während unsere Fertigkeiten abnehmen. Der Mensch der Gegenwart unterscheidet sich in vielen Punkten von dem des 17 . Jahrhunderts. Wenn wir uns eine Vereinfachung erlauben und etwas, das wir ein frühmodernes oder feudales Bewusstsein nennen könnten, neben ein modernes oder kapitalistisches Bewusstsein stellen, würden wir wohl eine Reihe interessanter Unterschiede feststellen. Während ein feudaler
seigneur
ein Genussmensch war und sein Leben in der Gruppe lebte, ist der moderne Bürger, der ihn als Herrscher über den Kontinent ablöste, ein individualistischer Pflichtmensch. Während der feudale Seigneur in erster Linie subjektive, persönliche Werte hochhielt, vor allem würdige Tätigkeiten suchte, in einer Welt von Ritterstolz und der Illusion von Heldentum lebte und die Perfektion um ihrer selbst willen erstrebte, huldigt der moderne Bürger mehr objektiven, sachlichen Werten, während er sich gleichzeitig am liebsten nützlichen Beschäftigungen widmet, in einer Welt von Waren und Profiten lebt und die Perfektion als Mittel zu materiellem Gewinn betrachtet. Der feudale Seigneur war in erster Linie Ästhet, der moderne Bürger ist in erster Linie Moralist. Wo der Erstgenannte betrachtend und nachdenklich war, ist der andere ordnend und belehrend; der Erste träumt, der andere rechnet; und wo der frühmoderne Mensch Fertigkeiten besaß, besitzt der moderne Mensch Kenntnisse. Auch die, die in den Armeen mitmarschierten, waren in erster Linie Fertigkeitsmenschen, die häufig sehr versiert waren in dem, was sie taten. Die 143 verschiedenen Griffe des Musketendrills übertreffen das meiste an heutiger militärischer Ausbildung; das Kunststück, eine Radschlosspistole neu zu laden, während man im Sattel eines schaukelnden Pferdes saß, dürften wenige moderne Soldaten nachmachen können, und kein Artillerist des 20 . Jahrhunderts ist noch in der Lage wie der Kollege im 17 . Jahrhundert, ohne Zielvorrichtung, Schießtabellen und standardisierte Ladungen auf 500 Meter Entfernung zu zielen und zu treffen, nur nach Augenmaß, das sich durch jahrelange Praxis bis zur Vollendung verfeinert hat.
Zu den hochentwickelten kollektiven Fertigkeiten der Heere gehörte unter anderem das Marschieren. Die Armeen hatten im 17 . Jahrhundert an Umfang erheblich zugenommen – vielleicht der wichtigste Grund dafür, dass die Kriege so schrecklich teuer und so schrecklich zerstörerisch geworden waren. Zwischen dem Beginn des 16 . und dem Ende des 17 . Jahrhunderts verzehnfachte sich die Heeresgröße! Die
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