Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
hinten herausragten. Der Tross bestand jedoch keineswegs nur aus den Wagen, den Pferden und ihren Kutschern. Mit ihm folgten auch alle zivilen Handlanger des Heeres, außerdem Frauen und Kinder – sie gingen in der Regel neben den Wagen, schneller ging es ja meistens nicht voran –, aber auch zahlreiche Ersatzpferde und Vieh, das alle Armeen als wandernden Essensvorrat mitführten und das von Viehtreibern und Hütejungen beaufsichtigt wurde. Die Artillerie folgte meistens direkt hinter dem Tross. Besonders die großen Geschütze waren schwer beweglich, verursachten aber dennoch geringere Probleme als die Tausende von Trosswagen, eben weil sie so wenige waren und oft von großen Gruppen eigens dafür zuständiger Handlanger fortbewegt wurden. Die Artillerie bestand indessen nicht nur aus den von Pferden gezogenen Geschützen; da rollten auch Ersatzlafetten, Kugel-und Pulverkarren, Kranwagen, mobile Feldschmieden, Kohlenwagen, Rüstwagen mit Werkzeug – Winden, Spaten, Faschinenmessern und so weiter – und Fahrzeuge mit Pontons für größere Brückenbauten. Mit der Artillerie marschierte im Allgemeinen auch eine besonders abgeteilte Feldwache von ein paar hundert Musketieren. Und als Letztes folgte die bewaffnete Nachhut, deren Größe und Zusammensetzung sich danach richtete, ob man gegen den Feind marschierte oder von ihm fort.
Eine dieser langen, bunten Marschkolonnen, von denen Deutschland im Verlauf dieser schrecklichen Jahre so viele gesehen hatte, war Anfang Juni 1648 über die westliche Grenze nach Böhmen einmarschiert. In Bayern zog die schwedisch-französische Hauptarmee plündernd und feuerlegend durchs Land. Diese Truppe war ein eigens abgestelltes Korps unter Königsmarck, der den Auftrag erhalten hatte, noch einen Einfall in die kaiserlichen Erblande zu machen. Wenige von denen, die auf den sommerlich staubigen Wegen dahintrabten, wussten, dass sie im Begriff waren, einen unerhört gewagten Coup gegen Prag auszuführen. Im Normalfall hätte sich ein Feldherr mit so wenigen Truppen nicht an ein derartiges Unternehmen herangewagt, denn Prag war eine der größten Städte Europas, mit mehreren Ringen von Mauern und Festungsanlagen umgeben, gut bestückt mit Kanonen und von rund 1000 regulären Soldaten sowie einer bewaffneten Bürgermiliz bewacht, die bis zu 12 000 Mann zählen sollte. Nun war Königsmarck, kürzlich mit dem imposanten Titel eines Feldmarschallleutnants behängt, kein gewöhnlicher Feldherr, sondern ein verschlagener Fuchs und Streifzugkrieger mit ständigem Appetit auf abenteuerliche Unternehmungen. Außerdem hatte er eine geheime Waffe in Gestalt eines kaiserlichen Überläufers, der versprochen hatte, den Schweden in die Stadt zu helfen.
Dieser Mann war Ernst Odowalsky, der sich einst in der kaiserlichen Armee vom Gemeinen zum Oberstleutnant hochgedient hatte, aber nun ins Unglück geraten war; zuerst verlor er seinen rechten Arm und damit seinen Posten. (Ansonsten kam es oft vor, dass Offiziere, die eine schwere Verwundung überlebten, unter den Fahnen blieben. Ein vielleicht etwas drastisches Beispiel hierfür bietet Josias von Rantzau, der nacheinander den Dänen, den Schweden, dem Kaiser, dann wieder Schweden und schließlich Frankreich diente; während dieser Zeit soll er nicht weniger als sechzig Verwundungen erhalten und ein Auge, ein Ohr, einen Arm und ein Bein verloren haben. Derartige Piratenphysiognomien zu Pferde waren in den verschiedenen Armeen kein ungewöhnlicher Anblick.) Zu allem Überfluss wurde Odowalskys Haus in Eger im Verlauf der Belagerung 1647 von den Schweden geplündert und niedergebrannt. Nachdem er ohne spürbares Resultat den Kaiser um Hilfe ersucht hatte, wandte er sich in seiner Verbitterung an die Schweden. Gegen Ende Mai hatte er Königsmarck aufgesucht und vorgegeben, in schwedischen Dienst treten zu wollen, ließ aber gleichzeitig durchblicken, dass er wisse, wie man sich ohne größere Anstrengung Eingang in die Stadt Prag verschaffen könne. Königsmarck horchte natürlich auf, nicht nur weil Prag die Residenzstadt des Kaisers war, sondern sicherlich in erster Linie, weil der böhmische Adel und die kaiserliche Familie seit dem Beginn des Krieges dort große Mengen von Besitz und Wertsachen aufbewahrten. Die Stadt war wie eine riesige Bank. Königsmarck war gierig und sagte nie nein zu einer kleinen Beute, und als ihm wie hier eine Beute von nahezu biblischen Dimensionen in Aussicht gestellt wurde, konnte er der Versuchung natürlich nicht
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