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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Glocken der Stadt gerade halb drei geschlagen hatten, wurde ein Zeichen gegeben, und die 100 Männer stürmten den Erdhaufen hinauf und bestiegen den Wall. Sie trugen alle entsicherte Gewehre mit Schnappschlössern oder Pistolen. Einige trugen Äxte und Keulen, die gebraucht wurden, um Türen und Tore einzuschlagen. Die Mauer war leer. Die Truppe teilte sich in zwei Gruppen. Die eine lief nach links, die andere nach rechts zu den beiden Bastionen, die das nächstgelegene Tor flankierten. Bei den Bastionen angekommen, stießen sie auf einige Wachen, doch diese wurden überrumpelt und von der hohen Mauer hinabgeworfen. Odowalsky lief nun sofort mit einer Gruppe Soldaten zum Strahover Tor. Sie kamen an dem Kapuzinerkloster vorüber, dessen Glockenläuten Königsmarck erschreckt hatte. Davor standen zwei Wachen. Die eine wurde niedergeschossen, die andere konnte fliehen.
    Nun musste es schnell gehen. Odowalsky und seine Männer liefen weiter zum Tor und warfen sich über die Wache, die niedergemacht wurde. Das Tor wurde aufgestoßen. Die Zugbrücke wurde heruntergelassen. Odowalsky stürmte hinaus in das schwache Licht der Morgendämmerung. Er rief die Soldaten, die in den nahegelegenen Gärten versteckt waren. Die schwer bewaffneten Männer ergossen sich in einem dunklen Strom durch das Gewölbe, hinein in die Straßen der Stadt. Dann brach der Tumult los.
    Schlaftrunkene Bürger und Soldaten sprangen aus ihren Betten und liefen halbnackt aus ihren Häusern, sie wurden von gezückten Degen und krachenden Schüssen empfangen. Wer seinen Kopf aus dem Fenstern steckte, wurde beschossen, unter anderem ein Frantisek Sternberg, der von einem Schuss getroffen wurde, als er hinausschaute, um nachzusehen, was los war – er starb einige Wochen später. Ein Oberstleutnant Schmidt lief hinunter zur Karlsbrücke, die die beiden Hälften Prags verbindet. Er wurde erschossen, denn eine schwedische Abteilung hatte bereits den Brückenturm besetzt, um Entsetzungsversuche von der östlichen Seite des Flusses zu verhindern. Zwei Grafen namens Cernin und Michna versuchten, mit einem Boot über das Wasser zu fliehen, aber sie wurden von pfeifenden Kugeln getroffen. Prags Kommandant Colloredo – der im Nachthemd war, nachdem er aus dem Bett gesprungen und durch Gärten und Weinfelder gelaufen und dann über die Stadtmauer geklettert war – entging jedoch den Schüssen und rettete sich mit seinem Lakai und seinem Sekretär in einem Fischerboot hinüber ans andere Ufer. Als die Morgensonne auf die Kleinseite schien, waren die Kämpfe so gut wie vorüber. Rund 150 Prager Bürger und kaiserliche Soldaten waren tot, 350 verwundet. Die Schweden hatten lediglich einen Leutnant und sieben Mann verloren. So groß war die Überraschung gewesen. Viele hochgestellte Persönlichkeiten waren auch in die Gewalt der Schweden geraten, unter anderem der Erzbischof von Prag.
    Nun, da die Kleinseite in schwedischer Hand war, die Tore besetzt und die Flussseite gegen Rückeroberungsversuche vom östlichen Teil der Stadt gesichert waren, durften die Soldaten sich ans Plündern machen. Es wurde eine groteske Angelegenheit.
    Eines der ersten Palais, in die Königsmarcks Soldaten eindrangen, gehörte einem greisen Grafen, der ihnen halb bekleidet entgegentrat. Die Soldaten griffen ihn an und verwundeten ihn an der Hüfte; er starb wenig später. Der alte Mann hieß Martinic und war einer der drei Männer, die an jenem Maimorgen vor 30 Jahren aus dem Kanzleifenster der königlichen Burg auf dem Hradschin gestürzt worden waren, als diese unendliche Tragödie in Prag ihren Anfang genommen hatte. Der Krieg hatte also sowohl seinen Beginn als auch sein Finale hier in Prag, beide Male gehörte Martinic zu den Opfern. Und es ist bezeichnend und zugleich passend, dass das, was in Schwaden von gerechtigkeitsglühender Rhetorik und mit Phrasen von Freiheiten und unumstößlichen Prinzipien eingeleitet wurde, jetzt in einem blinden Rausch von Vandalismus, Diebstahl und Gewalt sein Ende nahm.
    Die Plünderung dauerte zwei ganze Tage und Nächte, und die Beute war unfassbar groß. Mehr Reichtümer, als irgendjemand sich hätte träumen lassen, waren hier in Schatzkammern und Kellergewölben versteckt. Aus dem Palais des Stadtkommandanten Colloredo wurden 12 Tonnen Dukaten und über 2 , 5 Tonnen Silber herausgetragen. Aus dem Palais des getöteten Grafen Cernin wurde Gold im Wert von mehreren 100 000 Talern gestohlen. In einem Kloster fanden sie 100 000 Taler in barem Geld.

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