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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Dörfer, die von der Inquisition vergessen wurden, Höfe, von deren Existenz der Vogt nichts wusste. Die Kontrolle so auszuweiten, dass sie auch die ländlichen Gebiete umfasste, war indessen die größte Herausforderung für den frühmodernen Staat; von Schweden im Norden bis nach Spanien im Süden waren Vögte und andere Bürokraten dabei, die ferne Welt des Volks zu infiltrieren, zu durchleuchten und zu ordnen. In Schweden, das praktisch das extremste Beispiel der Zeit darstellt, hatten die ständigen Rufe nach neuem Geld und neuen Soldaten für die Kriege dazu geführt, dass die staatliche Bürokratie mit Hilfe der Kirchenbuchführung begonnen hatte, jedes einzelne Individuum zu registrieren; niemand sollte mehr darum herumkommen, seine Pflicht dem Staat gegenüber zu erbringen. Es war eine außerordentlich bedeutungsvolle Ausweitung der Macht des Staats oder vielleicht vor allem seiner Fähigkeit zur Macht. Das Landvolk war auch nicht begeistert von diesem Staat, der in alles seine Nase steckte, der, mit Sven A. Nilssons Worten, «auf eine fast erschreckende Art und Weise seinem Volk, d.h. den Männern, folgen will von der Wiege bis zum Grab, damit keiner sich dem Register, dem Aushebungsregister entziehen kann». So hatte der große Krieg in einem weiteren Punkt die Auflösung der alten fragmentierten Welt vorangetrieben und dazu beigetragen, eine stark zentralisierte und moderne Staatsmacht zu schaffen.
    Diese Modernisierung des Staates und seiner Apparate war im Osmanischen Reich nahezu nicht existent. Allein eine so selbstverständliche finanzpolitische Maßnahme wie die Erstellung eines Staatshaushalts
im Voraus
, bei der Ausgaben und Einkünfte aufeinander abgestimmt wurden und mit der man versuchte, Auslagen über diese Berechnungen hinaus zu verhindern, hatte Seltenheitswert. Der Staatshaushalt beruhte im Großen und Ganzen auf dem Von-derHand-in-den-Mund-Prinzip und war deshalb ineffektiv und unmöglich zu steuern. Es gab manche lautstarke Versuche in dieser Richtung, ebenso wurden neue, pfiffige Systeme für die Steuererhebung eingeführt, die den Zweck verfolgten, einen größeren Teil der Gelder in der zentralen Staatskasse landen zu lassen statt wie üblich in den Taschen der vegetierenden Provinzgouverneure. Aber es war schwierig, das alte System zu reformieren; es gab allzu viele Personen, Gruppen und wortgewaltige Fraktionen, die davon profitierten, dass alles beim Alten blieb, und die bei dem bloßen Gedanken an etwas Neues laut jammerten. Korruption grassierte auf allen Ebenen der Verwaltung. Außerdem bewirkten viele sinnreiche Maßnahmen faktisch das genau entgegengesetzte Resultat: Die neuen
beylerbeyi
, die als verlängerter Arm des Staates in die Provinzen gesetzt wurden, um die Macht des Sultans am Ort zu stärken, gebrauchten nicht selten ihre neuen Befugnisse dazu, Konstantinopel eine lange Nase zu machen. Dann gab es noch einen weiteren Faktor, der bewirkte, dass der osmanische Staat gerade zu dieser Zeit angefangen hatte, gegenüber seinen abendländischen Nachbarn in eine klare organisatorische Unterlegenheit zu geraten.
    Wie alle Gesellschaften, die große Erfolge genossen haben, war auch das osmanische Imperium ausgeprägt konservativ geworden. Viele blickten auf das 16 . Jahrhundert und seine Kette von Triumphen zurück und sahen für das Reich keinen Weg nach vorn, es sei denn, er führte zurück, will sagen: über die Wiederherstellung der Einrichtungen, die es früher gegeben hatte. Man hoffte, der Veränderung zu entgehen, indem man sich weigerte, sich ihr anzupassen. Oder man weigerte sich ganz einfach anzuerkennen, dass es die Veränderung gab, und fuhr fort, sein Reich für «das stärkste der Welt» zu halten und jegliche Andeutung einer abweichenden Ansicht als an Verrat grenzend zu betrachten. Eine Tendenz zur Isolation und Erstarrung zeichnete sich zu dieser Zeit, um die Mitte des 17 . Jahrhunderts, ab. Man nahm keine Notiz von den wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und organisatorischen Neuerungen im Westen. Während die Menschen im christlichen Teil Europas neugierig waren auf die mächtige islamische Zivilisation, viele interessante Reiseberichte und Ortsbeschreibungen über diesen Teil der Welt schrieben und gern Werke aus dem Arabischen übersetzten und an den Universitäten studierten, zeigten die einflussreichen Schichten im Osten aus Tradition ein erhabenes Desinteresse an dem, was im Westen geschah. Nur eine Handvoll christlicher oder lateinischer Werke waren

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