Verwüstung

lächerlicher Schutz vor dem Wasser.
    Tia krabbelte hinüber zu der Person – zu Mira, es war Mira –, und einen Moment lang sahen sie einander bloß an, das Unaussprechliche geschah zwischen ihnen. Das flackernde Licht der Kerzen spielte über Miras Gesicht, und ihre Augen flüsterten: Du bist nicht mehr der Feind, du kannst bleiben.
    Tia nahm Decken und noch mehr Handtücher, drehte sie zu festen Rollen und drückte sie gegen den Spalt unter der Tür. Ihr ganzer Körper schmerzte an so vielen Stellen, dass ihre Schulter nicht mehr länger im Mittelpunkt dieser Empfindung stand. Sie konnte sie überhaupt nicht mehr spüren. Sie kam ihr wie tot vor.
    Als sie schließlich nach hinten sank, tat Mira dasselbe. Als sie die Hände auf die Schenkel presste, tat Mira dasselbe. Sie waren immer noch verbunden, dachte sie, und fragte sich dämmrig, wie so etwas möglich war. Sie lösten sich gleichzeitig von der Tür, verschwanden tiefer in dem Zimmer, die Kerzen flackerten, tanzten, die Hitze war wie ein schrecklicher Fluch. Und hier kauerten sie, während das dumme weiße Mädchen gegen die Bürotür schlug und trat und Danielle an Land röhrte.
    Der Hummer zitterte und wackelte, der Regen hämmerte auf Dach und Türen, auf die Windschutzscheibe. Franklin kauerte sich auf den Sitz, hielt seine Sig mit der rechten Hand umklammert und wartete auf den Bullen. Aber die Minuten vergingen – wie viele Minuten? Wie lange bin ich schon hier draußen? Und der Bulle kam nicht. Ihm wurde klar, dass er eine sehr dumme Entscheidung getroffen hatte. Eine weitere dumme Entscheidung an einem Tag mit lauter dummen Entscheidungen.
    Er schoss hoch auf dem Fahrersitz, rieb panisch über die beschlagene Windschutzscheibe, konnte aber nicht das Geringste sehen. Die Scheinwerfer waren vor einiger Zeit automatisch ausgegangen, und es gab jetzt kein künstliches Licht mehr. Er kam sich vor wie Jonas im Bauch des Wals.
    Irgendwelche Sachen donnerten auf Dach und Motorhaube des Wagens. Franklin zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern. Zweige? Stromleitungen? Was zum Teufel war das? Steig aus und lauf zum Haus. Der Wind war jetzt so mächtig, dass er die Tür aufreißen und ihn am Kragen packen würde, als wäre er ein herumstreunender Hund – oder er würde einen entsetzlichen Druck gegen die Tür ausüben und ihn daran hindern, sie überhaupt zu öffnen. Wind war Luft. Ich weiß nicht, wie man Luft wird. Ich bin Wasser und ich …
    »… sitze tief in der Scheiße.«
    Er schlug wieder mit der Faust auf das Lenkrad, schlug dann seine Stirn dagegen, kniff die Augen zusammen. Er versuchte, Wasser zu werden, versuchte, den richtigen Geisteszustand zu erreichen, er tat so, als wäre er wieder ein Kind und sein Alter Herr brüllte und seine Mutter brüllte und alle brüllten, doch nichts davon berührte ihn, weil er Wasser war.
    Aber er konnte nicht Wasser werden. Fahr näher zum Haus, stell dich direkt vor den Eingang.
    Sein Kopf zuckte hoch. Natürlich. Das Haus bot Schutz vor dem Wind, und er könnte aussteigen und ins Haus gehen, in den sicheren Raum. Besser da, als hier im Wagen. Man sollte während eines Hurrikans nie im Auto bleiben: erste Regel des National Hurricane Center. Aber ein Hummer war kein normaler Wagen. Er wog …
    »Wen kümmert’s, was die Kiste wiegt.« Er drehte den Schlüssel, schaltete die Scheinwerfer ein – und sah, dass ein Baum über den Weg gestürzt war, Äste und Blätter bedeckten die Motorhaube. Dutzende dunkler Formen bewegten sich auf der Windschutzscheibe. Mit gerunzelter Stirn beugte sich Franklin vor und legte seine Finger auf das Glas – dann riss er sie abrupt wieder weg, entsetzt.
    Schlangen. Großer Gott, Schlangen rutschten und glitschten auf der Windschutzscheibe umher, manche versuchten, sich hinter den Scheibenwischern in Deckung zu bringen, in den kleinen Schlitzen der Motorhaube. Er betätigte den Scheibenwischerhebel, und als die Scheibenwischer über das Glas schossen, wurden einige der Schlangen auf beide Seiten vom Fenster geschleudert, andere trudelten hinunter auf die Motorhaube. Dann ließ er den Motor an, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr den Schotterweg entlang und in den Garten hinein.
    Als er weit genug weg war, trat er aufs Gas, und der Hummer schoss vorwärts, er zielte auf die Krone des umgestürzten Baumes, wo die Zweige dünner waren. Sekunden später erreichten die Reifen den Stamm, stolperten darüber hinweg, donnerten wieder hinunter, und Franklin bog scharf nach