Verwüstung
Hände freizubekommen.
Plötzlich wirbelte die Tussi herum und leuchtete Annie an, die augenblicklich erstarrte. Trotzdem eilte sie zu ihr und beugte sich so nah heran, dass Annie den Schweißfilm auf ihrem Gesicht sehen konnte. Sie roch säuerlich, ängstlich, aber diese Gerüche führten Annie nicht zu irgendwelchen Bildern. »Pass auf, Mädchen. Zwei Bullen sind gekommen. Einer ist tot, der andere ist noch dort draußen. Ich bin ins Bad gelaufen und habe das Fenster aufgemacht, okay? Billy ist im Hummer und wartet auf den Bullen. Aber ich schätze, der Bulle weiß, dass wir hier drin sind, deswegen ist er nicht auf Billys Stimme in dem Funkgerät reingefallen. Erst vor ein paar Sekunden habe ich Licht draußen gesehen, hinten auf der Terrasse. Da bin ich sicher. Die Läden sind einen Spalt offen, und ich könnte schwören, dass ich ein Licht gesehen habe. Also wirst du raus vor die Tür gehen und um Hilfe rufen, du wirst …«
Blut rauschte durch Annies Schädel und übertönte den Rest dessen, was die doofe Tussi sagte. Crystal riss Annie das Klebeband vom Mund, und Annie keuchte und rang nach Luft.
»Verstanden, Mädchen?«
Annies Kopf zuckte hoch und sackte runter. Ihr Mund war so trocken, dass sie keine Worte bilden konnte.
»Sag etwas, um Gottes willen.«
»Ja.« Sie flüsterte es. Lass mich los, du blöde Kuh, damit ich dir in die Fresse hauen kann. »Ich hab’s verstanden.«
»Und dir ist auch klar, dass ich die alte Dame hier erschieße, wenn du mich verarschst.«
»Ja.«
»Du wirst den Bullen sagen, dass jemand im Haus verletzt ist, und du wirst ihn herlocken. Durch die Tür da.« Sie deutete auf die Schiebetür.
»Okay.«
Die Tussi zog das Klebeband von Annies Knöcheln ab. »Beug dich vor, damit ich an deine Hände rankomme.«
»Ich … ich könnte … da draußen einfach weggeweht werden«, stammelte Annie. »Der Sturm ist hinter dem Haus schlimmer, wo …«
Nadine rief etwas trotz des Klebebandes auf ihrem Mund, sie schlug ihren Gips gegen die Fußstütze ihres Rollstuhls und schüttelte wild den Kopf.
»Ja, ja«, sagte die Tussi. »Schon verstanden, Oma. Sag ihr, sie soll die Schnauze halten.«
»Nana, es ist in Ordnung, ich schaffe das schon.«
Aber Nadines Augen, die glänzten wie nasse Farbe, signalisierten Alarm, eine Warnung über das Offensichtliche hinaus. Annie wusste nicht, was sie meinte, was Nadine zu kommunizieren versuchte.
»Beug dich vor, damit ich an deine Hände komme. Los, mach jetzt.«
Annie rutschte an den Rand des Kissens und lehnte sich nach vorn. Als die Tussi sich über sie beugte, um das Klebeband von Annies Handgelenken zu entfernen, schoss Annie hoch. Die Decke ihres Schädels donnerte der Tussi gegen die Luftröhre, und die taumelte rückwärts, rang nach Luft und stolperte über den Couchtisch hinter sich.
Der Couchtisch rollte zur Seite und knallte dann in eine der Terrassentüren, die Tussi halb darauf, ihre Füße suchten nach Halt. Das Gewehr ging los, und Stücke der Sperrholzplatte, mit der das Oberlicht abgedeckt war, flogen zur Seite und prasselten auf sie herunter. Annie sprang auf und packte die Lampe neben dem Sofa, sie riss sie aus der Steckdose. Warf damit, und obwohl die Taschenlampe der Tussi jetzt auf dem Boden lag, reichte das Licht, um zu sehen, dass sie nach rechts rollte, vom Tisch runter auf den Boden. Die Tussi riss das Gewehr hoch und schoss auf die Lampe.
Der Schirm zerfetzte, die Birne zerplatzte – und die Kugel flog einfach weiter, durch die Öffnung im Sperrholz, und das Oberlicht zerplatzte.
Der Regen ergoss sich durch die Öffnung, und der Wind heulte in das Wohnzimmer, ein derart wütender und kraftvoller Wirbel, dass die Lampen umkippten, Bücher aus den Regalen gerissen wurden, der Fernsehbildschirm zerbrach, die Scheiben in den Terrassentüren zerbarsten und die Faltläden von innen erschüttert wurden.
Und plötzlich war ihre Mutter hier, im Zimmer, sie kreischte wie eine Irre, die aus den Tiefen der Hölle kam. Sie packte Annies Arm, warf sie zu Boden und rief ihr zu, dass sie Nadine nehmen und sich in Sheppards Büro verstecken sollte.
Annie kroch, so schnell sie konnte, hinter das Sofa. Sie erreichte die Rückseite von Nadines Rollstuhl, packte die Griffe, zog den Stuhl ein Stück zurück und stieß ihn dann mit aller Kraft in Richtung der offen stehenden Bürotür. Das Letzte, was sie sah, war ihre Mutter, eine Kriegsgöttin, die ein Messer auf die Tussi warf.
Das Messer traf Crystals Schulter, und sie
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