Verwüstung
zählte dabei im Kopf, ein Ausatemstoß alle fünf Sekunden, sodass er auf zwölf Ausatemstöße pro Minute kam.
Erste Hilfe. Woran man sich erinnerte, wenn man es brauchte.
Aber konnte er so Emisons Herz und Lunge kurzschließen?
Emisons Brust weitete sich, aber als Sheppard kurz pausierte und sein Ohr vor den Mund des Sheriffs hielt, hörte er keinen Lufthauch. Mein Gott. Gar nichts. Er drückte seinen Mund wieder auf Emisons, blies weiter, zwölf Stöße die Minute, wieder und wieder. Dann schlug er mit der Faust auf Emisons Brust und rief: »Atme, du verdammter Sausack. Atme.«
Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Goots Hand.
»Shep, er ist tot. Da kannst du nichts mehr machen.«
Sheppard versuchte es noch zwei Minuten, aber es kam keine Luft mehr aus Emisons Mund.
Schließlich sackte er auf seine Fersen, er hatte das Gefühl, als wäre er ausgesogen. Gefühle, allesamt negativ, taumelten in ihm herum wie Gefangene, die nach ihrem Platz in einer höheren Ordnung der Dinge suchten.
Egal, dass Emison oder er sich nicht in allem einig ge-wesen waren, dass sie sich nicht sonderlich gemocht hatten. Aber heute war Sheppard zu Emisons Beschützer geworden, zu seinem Krankenpfleger. Und Emison hatte daraufhin Sheppard etwas anvertraut, was ein Licht auf die Ereignisse warf, die nicht nur zu diesem Moment geführt hatten, sondern auch auf die Erfahrungen, die Sheppard vor zwölf Jahren gemacht hatte, in einer der entscheidenden Phasen seines Lebens.
Und jetzt war Emison tot. Sheppard hatte versagt. Wenn er in dem Rohr nicht erstarrt wäre, wenn sie schneller rausgekommen wären, wenn er andere Entscheidungen getroffen hätte … wenn, wenn, wenn.
»Mein Gott«, flüsterte er.
Emisons Lippen verfärbten sich bereits bläulich. Goot schloss Emisons Augen, schlug die Oberseite des Schlafsacks über sein Gesicht, zog den Reißverschluss zu. Sheppard hob schließlich den Kopf, und da stand Dillard und starrte den Schlafsack an. Er sah Sheppard in die Augen, und einen winzigen Moment lang verzog sich sein Mund zu einem höhnischen Grinsen. Ha, ha, Sheppard. Der wird wohl nicht mehr aussagen.
Die Wut ließ Sheppard hochschießen, die Arme schwangen. Seine Faust traf Dillards Kinn, und der taumelte nach rechts, stürzte aber nicht. Stattdessen warf er sich auf Sheppard, er bellte und grunzte wie ein wütender, verletzter Bulle, und boxte Sheppard in die Seite. Dessen Rippen brannten vor Schmerz, Luft entwich aus seinen Lungen, und dann durchflutete ihn Adrenalin. Er blockte Dillards nächsten Schlag mit dem Unterarm ab und trat ihm in die Eier. Dillard krümmte sich und keuchte. Sheppard packte ihn hinten am Hemd, warf ihn zu Boden, sprang rittlings auf ihn, sein Körpergewicht drückte Dillard zu Boden. Er grub die Finger in Dillards normalerweise perfekt frisiertes Haar und knallte dessen Kopf auf den Boden. Man konnte nicht sagen, wie weit er gegangen wäre, wenn Goot ihn nicht heruntergezerrt hätte.
»Was zum Teufel machst du da, Mann? Er soll doch vor Gericht, schon vergessen?«
Sheppard glitt von Dillard herunter und auf den Boden, angewidert davon, dass er derart die Kontrolle verloren hatte. Vielleicht stimmte alles, was Nadine in ihm sah. Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht, der Zorn verließ ihn. »Er hat gegrinst, weil Doug tot war.«
Goot riss Klebeband ab. »Soll er doch mit zugeklebter Fresse grinsen. Mit gefesselten Armen und Beinen. Und so bleibt er diesmal, bis wir ihn in einer Knastzelle haben.«
Sheppard setzte sich auf, nickte, er hatte Mühe, den zunehmenden Selbstekel abzuschütteln. Er erhob sich unsicher und durchquerte den Raum, er versuchte, so viel Abstand zwischen Dillard und sich zu halten, wie nur möglich. Er blieb vor der Harley stehen.
Ging um das Motorrad herum. Ein schwarzes Monster von Gefährt, aufgemotzt und blank poliert, hinten war Platz für einen Mitfahrer, und auf beiden Seiten gab es Taschen für irgendwelche Ausrüstungsgegenstände. Der Schlüssel steckte in der Zündung. Sheppard drehte ihn und sah nach dem Benzin. Der Tank war voll. Für Sheppard symbolisierte die Harley das Ausmaß von Franklins Überheblichkeit – dies war seine Fluchtmöglichkeit, wenn alles andere schiefging, das Fahrzeug, mit dem er und seine Chiquita auf die untergehende Sonne zuknattern würden.
Sheppard bestieg die Maschine, legte seine Hände auf den Lenker, erlaubte es seinem Körper, sich daran zu erinnern, wie es war, eines von diesen Dingern zu fahren. War das Auge
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