Verwüstung
Mutter Nadine an.
»Hallo, ich bin hier, Mom.« Annie tippte auf ihre Brust. »Sprich mit mir. Ich habe die Frage gestellt.«
»Ich … ich wusste nicht, dass du dich so fühlst, Annie.«
» Ich habe dir gesagt, dass sie sich so fühlt«, mischte sich Nadine ein.
»Hast du nicht.«
Nadine verdrehte die Augen. »Ach, bitte. Manchmal bist du unmöglich, Mira.«
»Ja«, stimmte Annie zu. »Das bist du. Manchmal behandelst du mich wie … wie, ich weiß auch nicht, als wäre ich irgendein Anhängsel dieser Familie. Ich muss verstehen, was ich gesehen habe. Ich … wen sonst soll ich fragen? Wer sonst weiß so etwas? Nur du und Nana Nadine.«
Ihre Mutter rieb sich mit den Händen über das Gesicht, dann sanken ihre Arme herunter. »Sag ihr, was es bedeutet, Nadine.«
Nadine hob die Arme und schüttelte den Kopf. »Sie fragt dich, nicht mich.«
» Irgendjemand soll mir irgendwas erklären«, schrie Annie.
»Es ist nicht wie mit einem Traumdeutungsbuch, okay?« Ihre Mutter breitete die Arme aus. »Du kannst nicht einfach eine Seite aufschlagen und einen Eintrag für schwarze Frauen oder Klebeband oder Wohnzimmer finden. So einfach ist es nicht. Was du erfährst, ist einzigartig. Vielleicht ist es ein Symbol dafür, wie du dich im Moment fühlst, machtlos, sprachlos …«
»Aber wenn es kein Symbol war? Wenn es ein echtes Bild war? Hm? Wenn die Schwarze die war, die aus dem Gefängnis entkommen ist? Wie kannst du den Unterschied wissen?«
»Ich bezweifle, dass es wörtlich zu nehmen ist, Süße. Du bist zu jung, um …«
» Was? « Annie konnte nicht glauben, was ihre Mutter gerade gesagt hatte. »Zu jung? Du warst in der Vorschule, als du angefangen hast, hellseherische Wahrnehmungen zu machen. Außerdem steckst du nicht in meinem Körper oder meinem Kopf …«
»Hör auf zu schreien.«
»Ich schreie überhaupt nicht.« Obwohl sie das tat. Sie ließ die Nägel und den Hammer fallen und wirbelte herum. »Vergiss es einfach. Ich hole die andere Leiter.« Sie eilte hinaus in die Garage und knallte die Tür zu.
Sie kämpfte gegen das Gefühl, verraten zu werden, zu versagen, und begann zu bezweifeln, was sie gefühlt hatte. Machtlos, sprachlos … ja na. Das passte schon gut dazu, wie sie sich fühlte. Sie schnappte sich die zweite Leiter, dann suchte sie nach Ricki und sah sie jetzt auf dem Gras hocken. »Komm jetzt, Mädchen, wir müssen reingehen und die Oberlichter vernageln.«
Ricki rührte sich nicht. Als Annie nach ihrer Leine Ausschau hielt, hörte sie eine Frau rufen. » Zurück, mach Platz, dann wird niemandem etwas passieren. «
In Annies Innerstem wurde es kalt und still. Habe ich das gerade gehört?
Sie hastete zur Tür des Hauswirtschaftsraums, schaltete das Deckenlicht und ihre Taschenlampe aus, drückte ihr Ohr an das Holz.
»Seid nur ihr beide hier?«, wollte ein Mann wissen.
Oh Gott, es stimmt. Annie zuckte von der Tür weg, packte Rickis Halsband und zog sie in den Schatten neben der Tür zum Garten. Sie kauerte sich hin, vollkommen durcheinander.
Wie waren sie ins Haus gelangt? Sie hatte die Klingel nicht gehört – aber Ricki hatte sie gespürt, deswegen hatte sie an der Garagentür herumgeschnüffelt. Sie waren durch eines der Fenster gekommen, natürlich, so war es. Die Faltläden waren zwar geschlossen und deckten die Fenster und Türen ab, doch sie waren nicht verriegelt. Man musste sie nur zur Seite schieben, das Fliegengitter aushängen und das Fenster hochschieben.
Sie waren zumindest zu zweit, ein Mann und eine Frau. Und eine schwarze Frau, die am Ende mit Klebeband gefesselt sein wird. Die Flüchtigen. Plötzlich war sie sich sicher. Vielleicht hatte ihre Mutter ihnen nicht die Haustür geöffnet, sie hatte jedoch eine psychische Tür geöffnet, als sie den Ort gelesen hatte, an dem der Hummer in die Luft geflogen war. Und ich habe geholfen. Ich habe geholfen, diese Tür zu öffnen. Ich habe genauso Schuld wie sie.
Sie spürte die warme, feuchte Luft unter der Tür hindurch quellen. Ich muss mich verstecken, schnell. Sie überlegte, sich hinten in den Lieferwagen zu ducken, aber das war zu offensichtlich. Ihr kam nur eine Idee, wo man sie nicht sähe, wenn die Eindringlinge in die Garage kamen. Und sie würden kommen, natürlich würden sie das.
Annie kroch hinüber zur Werkbank und lockte Ricki hinter sich her. Sie zog die Werkbank gerade weit genug von der Wand weg, um ein wenig Platz dahinter zu schaffen, und duckte sich in die Ecke. Ricki, die das für ein Spiel hielt,
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