Verwüstung
fallen und wirbelte herum. »Du musst nicht schreien«, schrie sie.
»Dann musst du mir zuhören. Ich … ich habe vor ein paar Sekunden etwas ganz Komisches erlebt. Es hat mir Angst gemacht. Ich muss verstehen, was das bedeutet, Mom.«
»Ja gut, wir reden darüber. Aber hol erst die Leiter und mehr Sperrholz, okay? Wir müssen dringend die Oberlichter abdecken.«
Ihre Frustration kochte über. »Ich brauche jetzt Antworten, nicht wann es dir passt.«
»Es geht nicht um dich oder mich«, schimpfte ihre Mutter. »Es geht darum, das Haus abzusichern, solange wir noch Zeit haben.«
Annie wollte gerade wütend dagegenhalten, aber das Klingeln des Telefons unterbrach sie. Sie stand am nächsten zum Telefon in der Küche und eilte hinüber. »Hallo?«
»Äh, ja, hier ist Sergeant Humphrey vom Tango Police Department. Ich suche nach Sheriff Emison oder Detective Sheppard.«
»Die sind nicht hier. Möchten Sie mit meiner Mutter sprechen?«
»Ja. Danke. Das ist nett.«
»Mom, hier ist jemand vom Tango PD .« Annie legte den Hörer auf den Tresen, drehte sich um und ging zurück in die Garage. Leiter. Nägel, Hammer. Sie wimmelt mich ab. Ihre Mutter wimmelte sie ab, denn was sie wahrnahm, war das Einzige, was zählte. Sie schien Annie als ihren Lehrling zu betrachten, ein Hellseherin-Azubi. So ein Scheiß. So ein verdammter Scheiß.
Annie marschierte rüber zur Werkbank auf der Suche nach Hammer und Nägeln. Welche Nägel brauchte man für so etwas? Sie hatte keine Ahnung. Sie riss eine Schublade nach der anderen aus Sheps ordentlichem Schrank mit Nägeln und Schrauben und entschied sich schließlich für lange, dünne Nägel, die aussahen, als wären sie gut dafür. Sie hatte irgendwo gelesen, dass geriffelte 8d-Nägel deutlich die Wahrscheinlichkeit erhöhen konnten, dass ein Dach einen Hurrikan überstand, und fragte sich, mit welchen Nägeln ihr Dach gebaut war. Ihre Mutter hatte gesagt, das Dach sei nach Andrew ersetzt worden, als die neuen Regeln schon griffen, doch die Sache mit dem 8d-Nagel war neu, nur ein paar Monate her. Die 8d-Nägel sollten so gut sein, dass die Baubestimmungen in Florida vorschrieben, dass die geriffelten Stifte bei allen Neubauten in Dade und Broward County ab 2005 verwendet werden mussten.
Nicht rechtzeitig für Danielle.
Sie steckte die Nägel in die Tasche ihrer Shorts, klemmte sich den Hammer zwischen die Zähne, griff sich die Leiter und ging zurück in den Hauswirtschaftsraum, gerade als ihre Mutter auflegte.
Sie sahen einander an, sie und ihre Mom, und Annie hatte das Gefühl, das Gesicht ihrer Mutter sei schlagartig gealtert, verzweifelt. Annie nahm den Hammer aus dem Mund. »Was ist?«
»Niemand hat etwas von Shep, Emison oder Dillard gehört«, sagte ihre Mutter mit angespannter Stimme. »Der Sergeant dachte, sie wären vielleicht … hier. Ich habe ihm gesagt, Dillard hätte behauptet, er wüsste, wo dieser Jerome Carver sei.«
»Shep geht es gut, Mom. Er ist nur noch nicht da.« Annie wollte jetzt nichts über Shep hören. Der war erwachsen und konnte sich um sich selber kümmern. Im Moment brauchte sie Hilfe dabei zu verstehen, was sie gerade erlebt hatte. Vielleicht war es unwichtig. Aber vielleicht auch nicht? »Ich brauche deine Hilfe, Mom«, sagte Annie leise. »Ich habe eine schwarze Frau gesehen, mit Klebeband gefesselt, sie lag in unserem Wohnzimmer. Was bedeutet das?«
Ihre Mutter schob weiter das Sperrholz über den Boden. Sie hatte Annie den Rücken zugewandt. »Ich weiß nicht, was das bedeutet. Wie hast du dich dabei gefühlt?«
»Komisch. Beunruhigt. Es hat mir nicht gefallen.«
Ihre Mutter griff nach der Leiter und wandte Annie den Rücken zu. »Können wir in ein paar Minuten darüber reden? Nachdem wir die Oberlichter vernagelt haben?«
»Kann das nicht einmal sechzig gottverdammte Sekunden warten?«, explodierte Annie. »Das machst du immer mit mir. Du wimmelst mich ab oder sagst später, später, weil ein Kunde kommt oder Shep dich braucht oder du etwas im Laden machen musst … Konzentrier dich doch nur einmal auf mich, Mom.«
Ihre Mutter schob die Leiter unter das Oberlicht, klappte sie auf, konzentrierte sich dann ganz auf Annie. Die Hände in die Hüften gestemmt, schaute sie resigniert. Nadine, die in ihrem Rollstuhl auf halber Strecke zwischen ihnen stand, schüttelte bloß den Kopf.
» Dios mio «, murmelte Nadine. »So kann man auch nichts verstehen. Hört euch gegenseitig zu.«
»Ich wusste nicht, dass es ihr so geht«, schnauzte ihre
Weitere Kostenlose Bücher