Verwüstung
weiß nicht, wie lange das dauert. Wir haben ihn noch nie benutzt.«
»Und es sieht aus, als hättet ihr reichlich Essen und Wasser.«
»Aber wir haben drei Oberlichter«, sagte sie. »Im Esszimmer, im Wohnzimmer und in einem der Badezimmer. Ich wollte sie gerade mit Sperrholz abdecken. Deswegen steht die Leiter dort.«
»Oberlichter. Scheiße.«
Lenk ihn ab, halt ihn von der Garage und von Annie fern.
»Ist das schlecht, Billy?« Crystal schaute besorgt und zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne.
»Es ist nicht gut. Halt sie mit deiner Pistole in Schach, Baby.«
Franklin ging eilig ins Wohnzimmer, schaltete alle Lichter an und stand mehrere Minuten unter dem Oberlicht, er starrte es einfach nur an, genau wie Mira es zuvor getan hatte. Es störte sie, dass sie überhaupt irgendetwas mit diesem Mann gemeinsam hatte.
Jetzt begann er in kleinen, engen Kreisen zu gehen, er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, schüttelte den Kopf, murmelte vor sich hin. Dann blieb er wieder unter dem Oberlicht stehen, sah es an, grübelte, die Hände in die Hüften gestemmt. Nadine kam mit einem Stapel Handtücher auf dem Schoß aus dem Bad.
»Hast du noch nie ein Oberlicht gesehen?«, fragte sie Franklin.
Er vollführte eine wegwerfende Geste mit einer Hand, und Crystal rief: »Hey, Oma, beweg deinen Arsch hierher. Stör ihn nicht, während er denkt.« Sie zielte mit der Pistole auf Mira. »Du, hilf ihr.«
Mira ging hinüber zum Rollstuhl und schob Nadine in die Küche. Sie drückte kurz ihre Schulter, und Nadine klopfte auf ihre Hand, als wollte sie sie beruhigen. Mira nahm den Stapel Handtücher und legte ihn auf den Tisch. Tia hob den Kopf, nahm ein Handtuch und rieb sich damit über das Gesicht und die nassen Sachen.
»Ich brauche trockene Klamotten«, sagte Tia. »Und eine Dusche. Und etwas zu essen.«
»Moment mal, einen Moment mal.« Franklins Stimme klang jetzt geschäftig, streng, autoritär. Er kam zurück in die Küche, schaute echt besorgt drein. »Wir haben vielleicht ein Problem, und zwar mit diesen Oberlichtern. Wann wurde dein Haus gebaut?«
»Weiß ich nicht.« Mira hatte keine Lust, ihm etwas über ihr Haus, ihr Leben, ihre Familie zu erzählen.
»Ist das Dach neu?«
»Es wurde angeblich vor fünf Jahren erneuert, bevor wir hierhergezogen sind.«
»Wurden die Oberlichter ersetzt?«
»Weiß ich nicht.«
»Weißt du, wann genau das Haus erbaut wurde?«, fragte er.
»Nein, warum?«
»Weil er versucht rauszukriegen, ob die Bude in acht Stunden noch steht«, murmelte Tia. »So sind diese Typen, verstehst du? Sie schauen sich vergangene Muster an und erstellen Vorhersagen auf der Basis von Computermodellen, sie haben ganze Festplatten voll mit all diesen Mustern. Aber Computersimulationen sagen einem einen Scheißdreck, verstehst du, Billy Joe? Gar nichts. Nicht bei Monster-Stürmen wie Andrew oder Danielle oder Hugo.«
Seit die drei ins Haus eingedrungen waren, hatte diese Frau bisher kaum etwas gesagt. Doch jetzt wurde Mira sofort klar, dass es Franklin am liebsten wäre, wenn Tia die Schnauze halten und verschwinden würde.
»Nehmen wir mal an, das Hause wäre Anfang der Dreißiger gebaut worden«, fuhr Tia fort und sah Franklin an. »Was sagt dir das?«
»Dass es den Labor Day Hurrikan 1935 überstanden hat«, entgegnete Franklin.
»Genau«, hauchte Tia und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn, wobei ihre Augen hell strahlten. »Und der hatte einen Zentraldruck von 895 Millibar und Sturmwinde von über 320 Stundenkilometern. Es war der brutalste Wirbelsturm, der die USA je getroffen hat.«
Sie klang wie Annie, dachte Mira, kein schlechter Satzbau mehr, keine Spur der schwarzen Proletin. »Woher wissen Sie das?«, fragte Mira.
»Macht das einen Unterschied?«, schoss Tia zurück und ihre Hand zuckte zu ihrer Schulter.
»Sie hat Andrew überlebt«, sagte Franklin. »Deswegen weiß sie das. Und ich wette, sie hat einen Haufen Fakten über Hurrikans in ihrem Erbsenhirn, oder, Amazone?«
»Da hast du recht, du Penner. Über vierhundert Menschen kamen an jenem Labor Day auf den Keys ums Leben, die meisten von ihnen waren Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, die eine neue Autobahn bauten. Fünfundsechzig Kilometer Eisenbahnstrecke wurden zerstört. Die meisten Gebäude zwischen Long Key und Plantation Key wurden einfach davongeweht, aber das war lange, bevor dieses Haus erbaut wurde, denn weißt du was? Wie viele Häuser in den Dreißigern hatten Oberlichter? Nicht besonders klug für einen
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