Verwüstung
Nadel, sie erweckte ihn aus einem derart tiefen Schlaf, dass es selbst der Hitze in dem engen Kellerraum nicht gelungen war, ihn anzutasten. Jetzt schlang sich diese Hitze um ihn, packte ihn, so feucht, so schwer und intim wie ein unverlangter Kuss. Seine Augen, verklebt vom Schlaf, öffneten sich zögernd, und er schloss sie sofort wieder. Er wollte nichts mehr als zurück zu dem stillen Zufluchtsort, wo ihn nur die Stimme erreicht hatte.
Wessen Stimme?
»Shep, wach auf.«
Goots Stimme.
Sheppard richtete sich ruckartig auf. Er fragte sich, warum sich der batteriebetriebene Ventilator nicht mehr drehte, warum das Licht schwächer war. Hatte der Generator schon kein Benzin mehr?
Er schaute sich langsam im Keller um und hatte plötzlich das Gefühl, in einen Sarg gequetscht zu werden oder in ein Glas, in dem sein Körper herumschwämme wie ein Fötus. Sein Hals wurde ihm eng, seine Brust fühlte sich an, als hätte man sie aufgeschlitzt, mit Baumwolle ausgestopft und in Brand gesteckt.
Weite Wiesen, blauer Himmel, viel Platz, viel Platz, viel Platz … Er zog die üblichen Tricks aus dem Hut, und nach wenigen Augenblicken ließ die Anspannung nach, die Hitze in seiner Brust verschwand, und er konnte wieder sprechen. »Was ist?«, flüsterte er.
»Ich bin bei meiner Wache eingenickt, und als ich zu mir kam, war Dillard verschwunden.«
»Bestens. Vielleicht haben wir Glück und er ist zu Fuß in die Stadt gegangen.«
»Ich glaube, ich habe ihn mit jemandem reden gehört. Das hat mich geweckt.«
Sheppard schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete damit auf Dillards Schlafsack, der in einer Ecke im Schatten lag. Drumherum sah es aus wie nach einem Picknick jugendlicher Missetäter – Einwickelpapier, Krümel, eine umgekippte Coladose, leere Flaschen, ein schmutziges Laken zusammengeknüllt am Fuß des Schlafsacks. Vielleicht war Dillard jetzt auch klaustrophobisch geworden und nach oben gegangen, um durchzuatmen. Welche Versuchung es darstellte, diesem Wichser einfach die Falltür vor der Nase zuzuknallen, und wenn die Garage dann wegflog … Pech gehabt.
»Ist er auf dem Klo?«, fragte Sheppard.
»Nein. Er ist nach oben gegangen. Er hat die Falltür offen gelassen, glaube ich. Deswegen kann man den Sturm jetzt besser hören.«
»Was immer er treibt, er führt etwas im Schilde. Lass uns mal sehen.«
Sheppard griff nach seinen Laufschuhen, aber die waren immer noch schlammig und nass. Dann eben keine Schuhe, dachte er und kroch hinüber zu Emison. Der schlief entweder oder war bewusstlos, Sheppard hatte keine Ahnung. Er tastete nach seinem Puls. Ein bisschen schnell, aber besser als vorhin. Er legte seine Hand auf Emisons Stirn, sie fühlte sich immer noch heiß an. Wie heiß? Gab es ein Thermometer in Franklins Ausrüstung? Advil oder Tylenol, die das Fieber senken würden? Und was ist mit der Wunde?
Bevor sie sich jedoch um Emison kümmerten, mussten sie Dillard finden. Goot und er durchquerten den Keller mit nackten Füßen. Sie nahmen Wasser aus dem Kühlschrank, und Sheppard griff sich eine Tüte Studentenfutter. Hand in die Tüte, Hand zum Mund, kauen. Er kam sich vor wie ein Kleinkind oder ein Invalide, er brauchte dringend Hilfe, Richtung, Anweisungen. Nein, keine Anweisungen. Was sie tun mussten, war klar: Den Sturm in der Gesellschaft eines Mannes überleben, den er hasste. Man musste das Kind beim Namen nennen.
Sheppard ging die Treppe hoch, seine nackten Füße kribbelten auf dem rauen Holz. Die Kellertür stand tatsächlich offen, und mit jedem Schritt wurde das Toben des Sturms lauter. Goot und er sahen einander an, und Goot bedeutete ihm, dass er als Verstärkung zurückbleiben würde, falls Dillard Sheppard Probleme bereitete. Sheppard nickte und steckte am oberen Ende der Treppe seinen Kopf durch die Falltür.
Im Schein der Sturmlaterne wirkte Dillard wie ein dunkles, buckliges Wesen aus einer unheimlichen Geschichte, vielleicht Kokopelli oder der Glöckner von Notre Dame. Er marschierte an der Garagentür hin und her, drehte sich in verschiedene Richtungen, versuchte, ein Signal für sein Handy zu erhaschen. Hatte Goot ihm nicht gesagt, die Akkus der anderen Handys seien tot? Hatte Dillard das nicht selbst auch behauptet? Aber seit wann glaubst du irgendetwas, was Dillard sagt?
Sheppard stieg durch die Falltür und lief zügig auf Dillard zu, wobei das Dröhnen des Sturms seine Schritte übertönte. Wenn Dillard ehrlich gewesen wäre, hätten sie Emison ins Krankenhaus schaffen und
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