Verwüstung
Bücher da drin. Wir müssen die erst rausschaffen. Ich fange damit an. Baby, du und Lopez, ihr bringt sie ins Schlafzimmer.«
»Nimm ihre Füße, Tia«, sagte Crystal.
Er bemerkte, dass Lopez zögerte und dass in ihren dunk-len klugen Augen Misstrauen lag und Verachtung für die Menschheit insgesamt und für ihn im Speziellen. Er fühlte sich eigenartig nackt in diesem Moment, als könnte sie in ihn hineinschauen und wüsste genau, was in dem Zimmer vorgefallen war. Würde sie Crystal ihren Verdacht erzählen? Vielleicht. Aber wenn sie das tat und Crystal ihn darauf ansprach, würde er es abstreiten. Abstreiten, abstreiten. Politiker hatten eine Kunstform aus dem Abstreiten gemacht, und es funktionierte jedes Mal. Also würde es auch bei ihm funktionieren. Das konnten Diktatoren am besten.
»Wir treffen uns gleich im Hauswirtschaftsraum.«
Er floh durch den Flur und dachte: Ich bin Wasser, ich bin Wasser … Doch er wusste, es war gelogen. Wenn er wirklich Wasser wäre, würde er um diese Ereignisse herumfließen und nicht von ihnen berührt werden. Er hätte nicht so panisch reagiert auf das, was Mira zu ihm gesagt hatte. Qualifizierte sich dieser Zwischenfall zum Zeichen? Und wenn ja, für was?
Und dann ging es ihm auf. Mira war keine Hellseherin, sie war Wasser in seiner reinsten Form, sie konnte das Gefäß eines jeden, der sie berührte, so vollständig ausfüllen, dass sie die Erinnerungen, Gefühle und Gedanken der Person absorbierte. Das erklärte, wie sie von Crystals Geschichte mit den Nonnen hatte wissen können, wieso sie wusste, was seine Mutter ihm angetan hatte.
Sie war sozusagen die wahre Essenz des Wassers, sein Gegenstück in jeder Hinsicht.
Eine beinahe religiöse Inbrunst überkam ihn. Er betrat den Hauswirtschaftsraum und war glücklich über die Umarmung der Dunkelheit.
18
Kaum war die Falltür zugeschlagen, packte die Klaustrophobie Sheppard. Die Brust wurde ihm eng, alles drehte sich vor seinen Augen, sein Magen verkrampfte sich. Er schaffte es kaum bis ans untere Ende der Treppe, bevor seine Knie nachgaben und er zu Boden sackte, die Beine unter sich, die Stirn auf dem Boden, die Hände um den Kopf gelegt. Irgendwelche Sachen donnerten auf die Falltür – klapperten, schepperten, rumsten, es klang, als befänden sie sich in einer Metallkiste.
Wird sie halten? Wird die Tür halten?
Die Angst, dass die Tür wegbrach und der ganze Schrott aus der Garage hier hereindonnerte und ihn bei lebendigem Leib begrub, besiegte sogar seine Klaustrophobie. Er krabbelte auf Händen und Knien vorwärts, weg von der Treppe, dem Lärm, er kroch in einen Schlafsack wie ein kleines Kind, das sich vor der Dunkelheit fürchtete. Er schlang die Arme um seinen Kopf und lag einfach da, atmete den schimmligen Gestank des Schlafsacks ein, seinen eigenen Schweiß und seine Furcht.
Goot berührte seinen Rücken. »Alles in Ordnung?«, fragte er so leise, dass Dillard ihn nicht hören konnte.
»Gib mir eine Minute.« Sheppard griff blindlings nach seinem Rucksack und wühlte darin herum, bis er ein Röllchen mit Pfefferminzpastillen fand. Er schob sich drei in den Mund und lutsche sie.
Goot begriff, was mit ihm los war. Obwohl er nicht durch das schwarze Wasser gegangen war, hatte er die Sache miterlebt, und er war der Erste gewesen, dem vor acht oder neun Monaten die Veränderung Sheppards aufgefallen war. Sie hatten einen Vermisstenfall in Orlando bearbeitet und waren jemandem durch einen dunklen, feuchten Tunnel gefolgt, und Sheppard war völlig von der Rolle gewesen. Er war so mitgenommen aus dem Tunnel gekommen, dass er die Ermittlungen für den Tag abgebrochen und sich ins Motel zurückgezogen hatte. In den folgenden Monaten waren die Symptome schlimmer geworden und deuteten so klar auf Klaustrophobie hin, dass er schließlich einen Arzt aufgesucht hatte.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Dillard Goot.
»Erschöpfung«, entgegnete Goot. »Die große Frage, Leo, ist eher, was ist mit dir los?«
»Mit mir ist alles in Ordnung«, schnauzte Dillard.
Klar, mit einer Hirnamputation ist das noch zu retten, dachte Sheppard, und dann wurde ihm klar, dass er funktionieren musste, denn sonst würde Dillard es ausnutzen, sobald er die Gelegenheit bekam. Er strampelte den Schlafsack ab und setzte sich auf seine Fersen, das letzte Pfefferminzbonbon löste sich auf seiner Zunge auf, der Geschmack brachte Linderung. Der Raum drehte sich nicht mehr, sein Magen beruhigte sich. Er konnte jetzt wieder seinen
Weitere Kostenlose Bücher