verwundet (German Edition)
„Anstrengend. Bin den Trubel und den Lärm nicht mehr gewöhnt.“
„Vielleicht besuchst du mich mal. Ich wohne etwas außerhalb der Stadt und habe einen Garten. Es ist äußerst ruhig bei mir. Keinerlei Trubel.“
Sie hatte anscheinend immer noch nicht aufgegeben. Aber er wollte nicht grob sein und sagte deshalb. „Vielleicht.“
„Ich schreibe dir mal meine Telefonnummer und Adresse auf.“
Er nickte, und da er nicht mehr mit ihr allein sein wollte, betrat er wieder das Wohnzimmer und traf auf Angelikas Blick. Katja fragte gerade, ob noch jemand Kaffee wolle. Als das bejaht wurde, verschwand sie in der Küche. Petra folgte ihr, um die neue Küche näher zu begutachten, denn sie war ebenfalls bei der Einweihung nicht da gewesen. Kurt war nicht zu sehen, und so blieben Herbert, Angelika und er allein zurück. Harald setzte sich wieder. Herbert sah erst Angelika an, dann wieder ihn. Er kniff die Augen zusammen. Dann sagte er zu Harald. „Du siehst gut erholt aus, aber unter der Bräune deiner Haut bist du bleich wie eine Leinwand. Was ist los mit dir?“ Zu Angelika sagte er: „Ich finde, er wirkt bedrückt. Findest du nicht? Man sollte meinen, so ein junger, gutaussehender Mann, der gerade von einem offensichtlich schönen Trip zurückkommt, müsste nur so strahlen vor Begeisterung.“
Schweiß sammelte sich unter Haralds Achselhöhlen. Herbert erhob sich. „Ich werde mal schauen, was die anderen so treiben.“ Er wandte sich wieder an Angelika. „Du bist die Fachfrau. Kümmere dich mal um ihn.“ Harald sah seinen Rücken in der Tür verschwinden. Schweigend saß er da. Er hatte gewusst, dass es eines Tages zu einer Begegnung kommen würde. Er bemühte sich um ein neutrales Gesicht. „Wie geht es Lisa?“
„Sie hat sich sehr über deine Briefe gefreut.“
Ihre Augen waren ruhig auf ihn gerichtet, der Schmerz in seinem Inneren nahm zu. Er dachte an Katjas Frage nach Ansichtskarten an Angelika. „Fühlt sie sich immer noch so einsam?“
„Sicher weniger, seit du ihr geschrieben hast.“
„Ich weiß, dass du mir nichts Näheres sagen darfst, aber vielleicht, wie die Therapie läuft.“
„Mal so, mal so. Wunden aus der Kindheit, die verdrängt wurden, brauchen lange, um zu heilen. Erst einmal müssen die Schmerzen überhaupt zugelassen werden.“
„Ich weiß“, sagte und verzog das Gesicht, als er an seine Zeit in Norwegen dachte. Als ihm Angelikas aufmerksamer Blick bewusst wurde, sagte er. „Was macht sie, wenn sie nicht bei dir in der Sitzung ist?“
„Sie nimmt ihr Malen ernster und arbeitet viel an ihren Bildern.“
„Tatsächlich?“ Er war angenehm überrascht. „Das ist schön. Sie ist talentiert, oder? Lydia hat mir mal Bilder von ihr gezeigt.“
„Ja. Ich habe Bilder von ihr Herbert gezeigt, der meinte, aus ihr könne durchaus etwas werden, wenn sie dran bleibt.“
„Wieso Herbert“, fragte er irritiert.
„Er malt selbst, und Lisa hat es mir gestattet.“ Sie schwieg einen Moment, bevor sie fort fuhr. „Sie wird immer besser. Sie beginnt, Erlebnisse zu verarbeiten. Manchmal komme ich ins Zimmer, und da steht sie an der Staffel und weint.“
„Kreativität als seelisches Ventil?“ Er nickte. In Gedanken sah er Clärchen vor sich, wie sie im Bett gesessen oder gelegen und dabei gesungen hatte. Sie hatte zig Lieder auswendig gekonnt mit allen Strophen. Auf den Autofahrten zu den Verwandten hatten sie, der Vater und er selbst immer gesungen. Nur seine Mutter nicht. Sie hatte auch keine gute Stimme und den Ton nie halten können. Er erhob sich, trat an die Balkontür und sah hinaus. „Lisa hat mir von diesem inneren Abgrund erzählt, diesem schwarzen Loch, in das sie ständig zu fallen droht, und von dieser Leere, die sie in sich hat, von dieser Angst, sich irgendwie aufzulösen. Ist so etwas heilbar?“ Er wandte sich zu ihr um.
Angelikas Gesicht war ernst, als sie antwortete. „Die psychische Struktur, die in den ersten Jahren gebildet wird, bleibt erhalten. Sie muss wissen, was mit ihr los ist, sie muss verstehen und begreifen, warum sie bestimmte Verhaltensweisen hat, wie sie fühlt, warum sie so fühlt, und sie muss lernen, damit umzugehen. Einiges wird sie sicher schaffen, aber sie wird es immer schwerer haben als Menschen, die eine geborgene Kindheit hatten, da ihr das Urvertrauen fehlt, das ein Kind günstigenfalls in den ersten Lebensmonaten erwirbt.“
Er nahm wieder seinen Platz ihr gegenüber ein. „Dieses Urvertrauen... ?“
In diesem Moment trat Petra
Weitere Kostenlose Bücher