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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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verfallen. Plötzlich befand er sich inmitten heftigster politischer Auseinandersetzungen und wurde von der deutschen Presse und von Studentenbünden mit Hassartikeln und Hassbriefen bombardiert. Freunde haben sich von ihm losgesagt, aber er ist sich treu geblieben und hat trotz sehr negativer Folgen für sich als Schriftsteller und auch für sein Privatleben immer konsequent Stellung gegen das Unrecht bezogen, und das fand ich bewundernswert. Ich habe auch meinen Kindern zu vermitteln versucht, dass sie immer gerade und aufrecht zu ihrer Meinung stehen sollen.“
    „Mein Vater hat auch immer gesagt: „Halte nie mit deiner Meinung hinter dem Berg, allerdings bringe auch die Leistung, die man von dir verlangt, sonst nimmt man dich nicht ernst.“
    Ihr Blick war forschend. „Du hast also doch Positives von ihm zu berichten.“
    „Na ja. Nur ihm gegenüber durfte ich nicht frei meine Meinung äußern, jedenfalls nicht, wenn er gerade zornig war. Politisch konnten wir schon ganz gut diskutieren. Aber erzähl bitte weiter über Hesse.“
    Sie lächelte. „In meinem Zimmer hing eine Zeit lang ein Spruch von ihm an der Wand. Mal sehen, ob ich ihn noch zusammenkriege. Sie schloss die Augen. „Ach ja. Der Held ist nicht immer der gehorsame, brave Bürger und Pflichterfüller. Heldisch kann nur der einzelne sein, der seinen eigenen Sinn, seinen edlen, natürlichen Eigensinn zu seinem Schicksal gemacht hat. Schicksal und Gemüt sind Namen eines Begriffs, hat Novalis gesagt. Aber nur der Held ist es, der den Mut zu seinem eigenen Schicksal findet. “
    „Er muss dich ja wirklich sehr beeindruckt haben, wenn du dir sogar Aphorismen von ihm an die Wand gehängt hast.“
    „Im Grunde genommen war er mein Erzieher, die Aufgabe, die dann Herbert später weitergeführt hat.“ Sie trank einen Schluck von ihrem Wein, und als sie das Glas wieder absetzte, sagte sie: „Ich würde gerne tanzen. Hast du Lust?“
    Das Orchester spielte gerade Strangers in the night von Sinatra „Mit einer Profitänzerin wie dir? Willst du dir das wirklich antun, dass ich dir die Füße plattlatsche?“ Sie lachte. „Soweit ich weiß, waren die Füße deiner Tanzpartnerinnen bei Katjas Geburtstagsparty keineswegs plattgelatscht.“
    Er stand auf. „Erinnere mich bloß nicht daran.“ Als er sie zur Tanzfläche geführt hatte und den Arm um sie legte, sagte sie. „Du sahst aber ziemlich amüsiert aus.“
    „Das Tanzen meine ich nicht.“
    Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, schwieg aber.
    Das Licht in der Bar war diskret, er genoss es, sie wieder im Arm zu halten und summte leise an ihrem Ohr mit.
    „Du hast eine schöne Stimme“, sagte sie, nachdem das Lied verklungen war.
    „Habe ich dir nicht erzählt, dass ich im Chor war?“
    „Nein.“
    „Bis zum Stimmbruch.“
    „Hast du auch ein Instrument gespielt?“
    „Cello!“
    „Du verschweigst einiges an Qualitäten.“
    Er lachte. „Glaub nicht, dass ich davon noch den blassesten Schimmer habe. Ich war sauer auf meinen Vater, der mich jeden verdammten Tag gefragt hat, ob ich auch ja genügend übe.“ Er sah sie an, sein Mund zog sich von Ohr zu Ohr. „Das Instrument ist mir dann eines Tages, rein zufällig natürlich, in eine Straßenbahntür geraten. Das war es dann.“
    Ihr Lachen war so bestrickend, dass er für einen Moment zu tanzen aufhörte und sie anstarrte. Sie wich seinem Blick aus, und die nächsten beiden Lieder tanzten sie schweigend. Als das Orchester zu einem schnelleren Rhythmus wechselte, hörten sie beide gleichzeitig zu tanzen auf, gingen zum Tisch zurück und setzten sich wieder. Während Angelika an ihrem Wein nippte, sah sie ihn über den Rand ihres Glases an. Ihr Blick irritierte ihn. Sie stellte das Glas ab und sagte: „Ich habe dein Buch über Norwegen zu Ende gelesen.“
    „Schon?“ Er war angenehm überrascht.
    Sie lächelte. „Die Schilderungen über deine Begegnungen mit den Vögeln verraten sehr viel über deine Feinfühligkeit.“
    „Mir wäre es lieber, ich wäre nicht so.“
    „Mir nicht.“
    „Bitte?“
    „Ich fände es schade, wenn du weniger sensibel wärst.“ Fragend runzelte er die Stirn.
    „Es ist ein Geschenk, Harald. Du musst es nur annehmen.“
    „Andere Menschen haben damit wahrscheinlich ein glücklicheres Händchen.“
    „Nein!“ Sie schüttelte den Kopf. „Viele andere Menschen haben diesen Gefühlsreichtum überhaupt nicht.“ Als sie sein zweifelndes Gesicht sah, sagte sie: „Ich will dir eine Geschichte erzählen. In

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