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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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Büchern. Ich lese sie nicht zur Bildungsanhäufung oder Unterhaltung. Mich müssen Bücher bereichern, mich persönlich weiterbringen, in mir etwas auslösen, etwas in mir bewegen, mich auf neue Gedanken bringen. Meine Mutter las Romane zum Ablenken, und ich habe das Gefühl, diese Romane wurden immer trivialer, je unzufriedener sie mit ihrem Leben war.“ Er seufzte. „Lesen als Flucht habe ich in meiner Jugend betrieben, weil mein Vater mir alles andere im Leben verbot, aber später hat mich das nicht mehr befriedigt.“ Er sah Lydia an, die ihn aufmerksam betrachtete. „Mein Vater war von der allgemeinen und politischen Bildung her überdurchschnittlich wissend, aber er hat aus diesem Wissen nichts gemacht. Nichts!“ Seine Stirn rötete sich, und seine Stimme klang aufgebracht. „Er hat aber diese Bildung dazu genutzt, anderen Menschen zu imponieren oder ihnen in Diskussionen über den Mund zu fahren. Mich hat er immer einen idealistischen Spinner genannt, weil ich schon damals begonnen hatte, mich für Naturschutz einzusetzen. Ein Träumer war ich für ihn, er dagegen glaubte, die Welt zu durchschauen. Die Bücher, die ich las, lehnte er ab, ebenso wie meine Gedanken. Er kam gar nicht auf die Idee, dass er einmal von anderen Menschen etwas lernen könnte und schon gar nicht von seinem missratenen Sohn. Er berief sich immer auf seine größere Lebenserfahrung. Diese Jahre konnte ich natürlich nie einholen, obwohl ich immer der Meinung war, dass nicht die Anzahl der Jahre zählen, sondern, welche Erfahrungen man gemacht hat und vor allem, welche Schlüsse man aus diesen gezogen hat. Sicher hatte er eine recht gute Menschenkenntnis, aber andererseits bestand er selbst nur aus einem einzigen blinden Fleck. Und er war fatalistisch eingestellt. Ich habe ihn zum Schluss nur noch gefragt, warum er sich eigentlich keinen Strick nähme. Na ja, schließlich hat sich diese Einstellung in seinem Körper gezeigt, der Krebs verzehrt ihn regelrecht. Er frisst ihn von innen auf.“
    Lydia reagierte schockiert: „Er hat Krebs?“
    „Er hat deswegen seinen Dienst als Soldat quittieren müssen. Seitdem säuft er wie ein Loch.“
    „Wie hält deine Mutter das bloß aus?“
    „Ganz einfach. Sie hat sich aufgegeben, sich und ihr Leben, schon vor langer Zeit.“
    „Wie war sie?“
    Er räusperte sich. „Lass uns nicht mehr darüber reden.“
    „Aber …“
    Er schloss ihr den Mund mit einem Kuss.
    Später, als der Himmel etwas heller war, gingen sie spazieren. Lydia hatte sich bei ihm eingehakt. Sie war sehr still.
    „Was ist mit dir?“
    „Ich habe heute Nacht von Lisa geträumt. Sie hat an einer Schlucht gestanden, und schließlich ist sie abgestürzt, und ich konnte sie nicht halten und musste hilflos zusehen, wie sie abstürzte. Immer wieder sah ich diese Szene ihres Herunterfallens und meinen Arm, der ins Leere griff. Es war schrecklich!“
    „Ein typischer Angstraum!“
    „Ich weiß. Tatsache ist, dass ich an Lisa hänge. Ich kann einfach diese Sorgen und den Kummer nicht vergessen. Immer wieder kommt es durch. Und sag jetzt nicht wieder, dass es sich schon finden wird oder dass ich sie loslassen soll. Es sind jetzt Wochen vergangen, und mit jedem Tag, der verstreicht, glaube ich weniger, dass sie zu mir zurückkommt.“ Sie machte eine Pause. „Hast du sie eigentlich in letzter Zeit gesehen?“
    „Nein.“
    „Harald, ich merke schon lange, dass du mir ausweichst.“
    Er erwiderte nichts.
    „Was verschweigst du mir?“
    Er zögerte. „Lisa führt ein ziemliches Lotterleben. Ich habe es dir nicht erzählt, weil ich dich vor Kummer bewahren wollte.“
    Lydia sah ihn zweifelnd an. „Was genau meinst du mit Lotterleben?“
    „Na ja, die Arbeit in der Grotte, durchzechte Nächte, viele Liebhaber.“
    „Hast du den Eindruck, dass sie Drogen nimmt oder so etwas?“
    Das hatte Harald bis jetzt nicht feststellen können, darum konnte er dies guten Gewissens verneinen.
    Lydia fragte nichts mehr. Schweigend setzten sie den Spaziergang fort.
    *

***
    H arald verließ seine Wohnung und beschloss spontan, mal wieder in die Grotte zu gehen. Mittlerweile waren zwei Monate vergangen, und er hatte Lisa seit Wochen nicht mehr gesehen. Als er die Grotte betrat, blieb er verblüfft stehen. Lisa tanzte einen Striptease. Sie schien betrunken zu sein, ihre Bewegungen waren nicht mehr sicher, und er fürchtete mit jedem Schritt, dass sie vom Tisch fallen könnte. Die Musik dröhnte, und sie bewegte sich lasziv dazu. Die Männer

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