verwundet (German Edition)
lebte und musste sterben. In der Zeit zwischen Geburt und Tod musste man sich quälen und abrackern. Liebe erhielt man wenig oder gar nicht. Im Grunde genommen wusste sie nicht, was das war: Liebe. Liebe war nur ein Wort. Bei Liebe fiel ihr nur Lydia ein. Sie schien eine Fata Morgana aus einem anderen Leben zu sein. Andrea hatte mittlerweile einen festen Freund. Aber war das wirklich Liebe? Andrea schwärmte für Amerika und wollte dort leben. Charlie wollte sie mitnehmen. Der US-Soldat war über vierzig, schmerbäuchig und hatte viel Kohle. Seit Andrea ihn kannte, benahm sie sich wie die Jungfrau von Orleans. Aber Lisa konnte Andrea und ihre Hoffnungen auf ein neues Leben und einen neuen Anfang verstehen. Sie selbst hätte auch gerne einen solchen Strohhalm ergriffen. Maja und sie verstanden sich auch nicht mehr so gut. Seit Andrea ihren Charlie hatte, fühlte Lisa sich einsamer denn je. Sie ging in die Küche. Sie erwarteten viele Gäste, und sie musste noch einiges vorbereiten. Als es an der Tür läutete, schickte Lisa Andrea, weil sie selbst gerade am Kochtopf stand, wo sie sich abmühte, eine Pilzsoße zuzubereiten. Sie schnippelte gerade die Pilze in den Topf, als Andreas Stimme hinter ihr erklang. „Lisa, Besuch für dich. Ich mache weiter.“
Lisa drehte sich um und, die Farbe wich ihr aus dem Gesicht, als sie Lydia sah. Andrea zwinkerte ihr zu, nahm ihr den Kochlöffel aus der Hand und sagte: „Ihr könnt doch in dein Zimmer gehen, ich werde hiermit schon fertig.“
In ihrem Zimmer angekommen, drehte Lisa sich zu Lydia um. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, seit sie Lydia zum letzten Mal gesehen hatte.
Lydia brach schließlich das Schweigen: „Wie geht es dir?“
Lisa musste sich räuspern: „Danke, gut und dir?“
„Auch gut, danke.“ Schweigen.
Schließlich zog Lydia ein kleines Päckchen aus der Tasche und gab es Lisa. Mit ihrer warmen Stimme sagte sie: „Ich wünsche dir alles Liebe zu deinem Geburtstag.“
Lisa schluckte und griff zaghaft nach dem Geschenk.
„Willst du es nicht auspacken?“
Lisa riss mit bebenden Händen das Papier ab. Heraus kam ein kleines Schächtelchen. Sie hob den Deckel ab. Auf dunkelblauer Watte lag ein kleines Silbermedaillon an einer langen, feingliedrigen Kette.
Lydia lächelte: „Du kannst es öffnen.“
Lisas Hände zitterten so sehr, dass Lydia ihr helfen musste Ungläubig starrte Lisa auf das Bild ihrer Mutter, das diese lachend zeigte. Sie fand keine Worte und merkte auch nicht, dass sie weinte. Lange stand sie so da und sah auf das kleine Foto. Lydia nahm ihr die Kette aus der Hand und legte sie ihr um. Keine von ihnen beiden hatte mitbekommen, dass es geklingelt hatte, und so zuckten sie zusammen, als plötzlich die Zimmertür aufsprang.
„Hallo Schatz, Happy Birthday!“
In der Tür stand Maja, die Lydia ungeniert taxierte: „Aha, das ist wohl die schöne Stiefmutter!“ Sie pfiff anerkennend.
Eine unangenehme Spannung entstand im Zimmer. Schließlich wandte Lydia sich an Lisa und sagte: „Ich gehe dann, feiere noch schön.“ Lisa machte Anstalten, Lydia zur Tür zu bringen, doch diese winkte ab.
Lisa rief noch hinter ihr her: „Und vielen Dank.“
Maja fragte: „Was wollte sie?“
„Na, mir zum Geburtstag gratulieren.“
„Mehr nicht?“
„Was denn sonst?“
Maja kniff die Augen zusammen und fragte: „Mir ihr würdest du wohl schlafen, was? Ich dagegen bin dir nicht gut genug!“
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“
Maja ging raus und knallte die Tür hinter sich zu.
*
Lydia war empört: „Du hättest sehen sollen, wie sie mich mit ihren Augen ausgezogen hat. Wie ein Mann!“ Harald schwieg.
„Warum sagst du nichts?“
Er hob die Hände, ließ sie fallen. „Finde dich doch damit ab, Lydia.“
Lydia sank auf die Couch. „Ich habe doch gehofft,... ich habe gedacht, wenn etwas Zeit vergangen ist... ach, ich weiß es nicht.“ Sie stützte den Kopf auf die Hände. „Hast du gesehen, wie sie aussieht? Sie ist blass, ausgemergelt, läuft herum wie ein Flittchen, und ich kann mir nicht denken, dass diese Frau einen besonders guten Einfluss auf sie hat.“
„Vielleicht muss sie sich nur sozusagen die Hörner abstoßen.“
„Du kanntest ihre Mutter nicht. Der gleiche Selbstzerstörungstrieb, und sie hat es auch nicht geschafft. Auch damals war ich Schuld daran.“
„Was redest du denn da? Ich verstehe nicht, wieso du immer bei dir die Schuld suchst, wenn andere nicht mit ihrem Leben klarkommen.“
„Ich habe dir doch
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