verwundet (German Edition)
es ihr gelungen, ihre Gefühle zu unterdrücken. Als sie jedoch erfuhr, dass Lydia ein eigenes Leben hatte und mit Harald zusammen war, hatte eine eisige Hand nach ihrem Herz gegriffen. Was wäre, wenn Lydia sie vergäße? Zusätzliche Furcht hatte ihr bereitet, dass Andrea nach Amerika gehen wollte. Andrea und sie hatten sich gut verstanden, und in letzter Zeit war Andrea nicht mehr so schnodderig, sondern sehr ruhig gewesen. Sie hatte Lisa erzählt, dass sie Charlie wirklich liebe, dass dieser ihr ein Gefühl von Geborgenheit vermittle. Sie hatte von ihrer Bitternis über ihr Leben gesprochen und von ihrer Hoffnung, in Amerika ein neues Leben beginnen zu können. Lisa verstand sie. Eine innere Stimme sagte ihr, dass auch sie sich von all dem lösen müsse. Sie nahm Aufputschmittel, Schlaftabletten und trank viel zu viel. Sie hing an Andrea, und es grauste ihr bei der Vorstellung, alleine in der Wohnung zu bleiben. Auf Heidi konnte sie auch nicht zählen. Sie war mittlerweile Mustafa völlig hörig und trieb sich nur noch mit seinen Freunden herum. Darum war sie zu Harald gegangen. Insgeheim hatte sie gehofft, dass sie für eine Weile zu ihm ziehen könne. Auch war sie noch ein bisschen verliebt in ihn. Sie hatte das Gefühl, dass er sie tolerierte, sie so nahm, wie sie war. Trotzdem stand er immer etwas abseits, ließ sich nie ganz auf ihre Clique ein, und er war oft nicht da. Sie hatte sich immer schon gefragt, wo er so oft steckte. Auch wurmte es sie, dass sie Harald nie herumgekriegt hatte. Aus dem Konglomerat von Begehren, Eifersucht und Lebensüberdruss war spontan die Idee der Erpressung geboren worden. In diesem Ultimatum hatte sie die einzige Chance gesehen, aus dem Milieu zu entkommen. Harald hatte gewusst, dass er nicht anders konnte, als Lisa zu helfen. Maja war bestimmt ein rotes Tuch für Lydia, das hatte Lisa intuitiv erfasst, und so war Harald in ihrer Hand. Und sie gedachte, dieses Wissen unerbittlich einzusetzen, wenn er ihrer Forderung nicht nachkam. Lydias Bedingung nachzugeben, ihre Anschrift nicht bekannt zu machen, war ihr nicht schwer gefallen. Sie hatte auch Maja nicht gesagt, dass sie zu Lydia zurückzog und Andrea das Versprechen abgenommen, dicht zu halten. Anverstand, dass Lisa ebenfalls neu anfangen wollte und hatte freudig zugestimmt. Die beiden Frauen hatten sich ohnehin nicht mehr so gut verstanden, weil Maja sich ständig über Charlie lustig machte.
Nun war sie wieder hier bei Lydia, und sie hatte den festen Vorsatz, diesmal alles richtig zu machen.
Als Harald und Lydia am Abend im Bett lagen, fragte er: „Und, wie war’s?“
„Ich weiß nicht. Sie redet kaum, und ich weiß auch nicht, was ich sagen soll. Irgendwie sind wir wie Fremde.“
Harald, der selbst bedrückt war, wollte es nicht zeigen: „Ach, du musst euch etwas Zeit geben. Das wird schon. „Glaubst du wirklich?“
Er nickte, obwohl er nicht davon überzeugt war. Seit der Erpressung sah er Lisa nicht mehr nur als Opfer der Umstände. Sie war ihm suspekt.
„Vielleicht bin ich ihr zu spießig?“
„Ich versteh nicht?“
„Na ja, bei dem, was sie vermutlich getrieben hat?“
„Du wirst ja wohl jetzt nicht dasselbe treiben wollen, nur damit sie dich akzeptiert?“
„Nein. Ich frage mich nur, ob ich durch meine Erziehung immer noch verklemmt bin, ich meine in bezug auf gleichgeschlechtliche Liebe. Vielleicht bin ich da zu engstirnig?“
Harald schüttelte den Kopf. „Es muss ja nun nicht jeder mit jedem ins Bett gehen, nur um nicht als verklemmt zu gelten. Entweder fühlt man sich zum gleichen Geschlecht hingezogen oder nicht.“
Lydia schwieg. Dann sagte sie: „Ich habe dir erzählt, dass ich Lisas Berührungen nicht als unangenehm empfand. Vielleicht steckt da etwas in mir drin, von dem ich bis jetzt nichts wusste“
„Aber du hast doch niemals Frauen begehrt!“
„Vielleicht habe ich es nur nicht zugelassen?“
„Blödsinn.“
*
Seit Wochen schon lebten sie jetzt zu dritt in dieser Wohnung. Harald war fast gar nicht mehr bei sich zu Hause. Seit der Erpressung und Lisas Einzug war die Stimmung zwischen ihnen sehr angespannt. Lisa und Lydia fanden auch nicht zusammen. Zu viel Unausgesprochenes stand zwischen ihnen. Lisa schlief kaum. Sie hatte alle Tabletten noch aufgehoben, versuchte aber, ihnen zu widerstehen. Ihr Körper war noch völlig durcheinander. Sie mied auch Alkohol, fühlte sich aber sehr schlecht. Ab und zu merkte Lisa, dass sie sich nach der Grotte und ihren alten Freunden
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