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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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Entschuldige, dass ich gestern nicht gekommen bin, ich habe einen alten Schulkameraden getroffen. Wir haben bis spät in die Nacht gesessen und uns unterhalten. Es war sehr interessant, und so habe ich völlig die Zeit vergessen.“
    „Du hättest mich anrufen können.“
    „Ja, wie gesagt, ich hab’s halt vergessen.“
    Lydia nickte. „Ist dein Freund noch länger in der Stadt oder lebt er jetzt hier?“
    „Wieso?“
    „Na, ich dachte, du seist in Darmstadt zur Schule gegangen?“
    „Ja, ja, er war nur im Urlaub hier, er reist heute wieder ab.“
    Lydia stand auf und kam ihm entgegen. „Was ist los mit dir? Du wirkst so aufgewühlt?“
    Er küsste sie begierig, riss ihr ungeduldig die Kleidung vom Körper und liebte sie geradezu besessen. Als er zu sich gekommen war, lag Lydia mit geschlossenen Augen da und rührte sich nicht. Verunsichert fragte er:
    „Was hast du?“
    „Nichts.“
    Als Harald am nächsten Morgen erwachte, lag Lydia noch neben ihm. Er war verwundert, denn es war ein Werktag. „Wieso bist du nicht in deinem Laden?“
    „Ich hatte heute keine Lust. Ich dachte mir, wir könnten heute eigentlich einen Ausflug machen.“
    „Wieso gerade heute?“
    „Ich hatte eben Lust dazu.“
    Obwohl sie nun schon seit Stunden durch den Wald wanderten, hatte er seine Unbefangenheit noch nicht wieder erlangt. Stumm und in sich gekehrt lief er neben ihr her.
    „Harald, ich weiß nicht so recht, wie ich es sagen soll. Ich weiß so wenig über dich. Warum erzählst du mir nie etwas von dir?“
    „Was?“ Er runzelte die Stirn. „Ich erzähle dir andauernd etwas über mich.“
    „Ja, aber nur von deiner Arbeit oder den Büchern, die du liest.“
    „Ich kann es auch ganz lassen, wenn dir das zu viel ist.“
    „So war es nicht gemeint. Mich interessiert aber viel mehr an dir, als nur das.“
    „Mehr gibt es nicht zu erzählen.“
    „Mich interessiert alles an dir, nicht nur deine Stärken.“
    „Wenn du alles von mir wüsstest, würdest du mich nicht lieben!“
    „Jeder Mensch hat seine Schwächen und seine dunklen Seiten.“
    „An dir konnte ich bis jetzt nicht viel davon entdecken.“
    „Du weißt auch nicht alles von mir. Auch ich war nicht glücklich bei meinen Eltern. Stell sie dir in ihrer Bigotterie vor. Ständig haben sie mir zu verstehen gegeben, dass dies an mir sündig sei oder jenes. Sie haben ständig von Schuld gesprochen. Vor allem in der Pubertät wurde mir andauernd vermittelt, dass ich als Mädchen nur minderwertig, schlecht und verderbt sei und dass ich jeden Tag beten und regelmäßig fasten müsse, um meine Schlechtigkeit wieder gut zu machen und rein zu werden. Ich habe gelernt, dass mein Körper, meine Weiblichkeit verdammenswert und verdorben sei. Ich fühlte mich unverstanden, ungeliebt und schmutzig. Ich konnte nicht mit ihnen reden und habe mich völlig verschlossen. Dann lernte ich Markus kennen. Ich habe dir von ihm erzählt, er war zwei Klassen über mir. Ich fand Freude an der körperlichen Liebe und habe mich gleichzeitig dafür verachtet und gehasst. Daran ist letztlich unsere Liebe zerbrochen. Zu meinem großen Glück habe ich dann einen Frauenarzt kennen und lieben gelernt, der sehr verständnisvoll war. Im Laufe der Zeit habe ich mich mit mir selbst angefreundet. Aber es waren schwere und harte Jahre, weil ich mich selbst nicht mochte und auch immer sehr streng mit anderen Menschen war, weswegen ich mir selbst viele potentielle Freundschaften kaputt gemacht habe.“
    „Was ist aus dem Frauenarzt geworden?“
    „Er hat mich verlassen.“
    „Und dann?“
    „Ich hatte nur noch Affären, nichts Tiefergehendes.“
    „Was waren das für Männer?“
    „Meistens Geschäftsmänner. Durch die Buchmessen und Literaturlesungen lernte ich viele Leute kennen. Was meinst du, warum ich so darunter gelitten habe, dass Lisa genauso anfing? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man dabei nichts gewinnen, sondern nur verlieren kann.“
    „Dann hast du aber doch noch mal geheiratet. Diesen Stephan. Hast du ihn auch auf diese Weise kennen gelernt?“
    „Nein. Ihn habe ich beim Zahnarzt getroffen. Er war der erste Mann, der mich zu brauchen schien.“ Nachdem sie eine Zeitlang geschwiegen hatte, sagte Lydia: „Du siehst, ich habe auch meine Schwächen und Fehler.“
    *

***
    L isa war deprimiert. Heute war ihr Geburtstag. Der Tod ihrer Mutter war jetzt über ein halbes Jahr her. Sie stand vor dem Badezimmerspiegel. Warum lebte man eigentlich? Wozu das Ganze? Man wurde geboren,

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