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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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reichte es ihr. Er sprach leise auf sie ein. „Beruhigen Sie sich, Frau Kaufmann. Das Mädchen lebt ja.“ Nachdem er Lydia ein wenig Zeit gegeben hatte, sagte er: „Wenn Sie wollen, bringen wir Sie in die Klinik.“
    In der Klinik wurde Lydia zu dem diensthabenden Arzt gebracht, der sich als Dr. Ringel vorstellte. Von ihm erfuhr sie, dass Lisa genug Tabletten genommen hatte, um zu sterben. Er hielt ihren Zustand für äußerst bedenklich und wollte Näheres über sie wissen. In kurzen Worten erzählte Lydia, dass sie Lisa bei sich aufgenommen habe, weil ihre Mutter sich das Leben genommen hatte. Der Arzt nickte. Das wisse er schon von der Polizei, sonst hätte er mit ihr gar nicht sprechen dürfen. „Darf ich sie sehen?“
    Der Arzt zögerte einen kurzen Augenblick, dann sagte er: „Versprechen Sie sich nicht zu viel.“ Er führte sie zu ihrem Zimmer. „Bleiben Sie bitte nur kurz.“
    Lydia nickte. Sie betrat das Zimmer. Der Raum war für zwei Personen gedacht, doch das Bett an der Tür war leer. Lisa lag am Fenster und verschwand fast in den Kissen. Ihr Gesicht war abgewandt. Lydia musste sie sich die Tränen verbeißen.
    „Lisa?“
    Keine Reaktion. Lydia war unsicher. Schlief sie?
    „Lisa?“
    Langsam, wie in Zeitlupe, wandte Lisa sich ihr zu. Ihre dunklen Augen wirkten riesig und fiebrig in ihrem bleichen Gesicht. Apathisch blickte sie Lydia an, ohne ein Erkennungszeichen zu geben. Lydia nahm Lisas schmale Hand und drückte sie, doch Lisa reagierte nicht. Lydia weinte bitterlich, als der Arzt sie am Arm nahm und aus dem Zimmer führte. Dr. Ringel sagte: „Es ist besser, wenn Sie erst wieder hierher kommen, wenn Sie sich selbst ein wenig beruhigt haben.“
    *

***
    L ydia saß auf einem Stuhl vor Frau Dr. Dunkelmanns Sprechzimmer. Fahrig blätterte sie in einer Zeitschrift und legte sie wieder weg. Sie wartete darauf, aufgerufen zu werden. Lisa lag inzwischen in der Geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Frau Dr. Dunkelmann, die behandelnde Ärztin, hatte Lydia telefonisch um ein Gespräch gebeten. Lydia fühlte sich unwohl. Die Psychiatrie jagte ihr Schauer ein, nicht nur, weil sie wusste, dass Lisa hier lag, sondern auch, weil ihr die Atmosphäre unheimlich war. Erst einmal hatte sie klingeln müssen, um überhaupt auf die Station zu kommen. Eine Schwester hatte geöffnet und sie eingelassen, nachdem Lydia ihr Anliegen vorgetragen hatte. Sofort hatte sie die Tür wieder geschlossen und Lydia in einen Wartebereich gebracht. Der ganze Flur roch nach Desinfektionsmittel. Es gab mehrere Krankenschwestern, die in einem gläsernen Raum saßen, von wo aus sie den ganzen Flur beobachten konnten. Ab und zu verließ eine Schwester den Raum mit Spritzen und Tabletten und ging in ein Zimmer. Sie grüßte Lydia freundlich oder nickte ihr zu.
    „Frau Kaufmann?“
    Die Ärztin, eine Frau etwa in ihrem Alter, mit schwarzen, kurzen Haaren, in denen schon einige graue Strähnen leuchteten, gab Lydia die Hand. Ihr Händedruck war fest. Sie bat Lydia in ein helles, freundliches Zimmer und wies auf eine Sitzgruppe, bestehend aus vier Sesseln, die um einen runden Tisch standen. „Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee?“
    Lydia schüttelte den Kopf und bedankte sich. Die Ärztin war ihr auf den ersten Blick sympathisch. Bevor diese selbst Platz nahm, zog sie den Vorhang etwas zu, da Lydia von den hereinfallenden Sonnenstrahlen geblendet wurde. Dann setzte sie sich Lydia gegenüber. Sie hatte ungewöhnlich helle Augen, die einen interessanten Kontrast zu ihren dunklen Haaren bildeten. Ihr Blick war wach und verriet einen scharfen Verstand. Ihr Lächeln zauberte viele kleine Fältchen um ihre Augen. Lydia entspannte sich. Das Gesicht und das Lächeln Frau Dr. Dunkelmanns gefielen ihr.
    „Frau Kaufmann, ich habe Sie zu mir gebeten, weil ich Ihre Hilfe brauche. Lisa spricht nicht mit mir. Obwohl sie keine Medikamente mehr bekommt, ist sie völlig apathisch, und sie verweigert auch das Essen. Wir müssen sie künstlich ernähren. Wenn wir ihr helfen wollen, müssen wir herausbekommen, was ihr den Lebensmut so völlig geraubt hat.“
    Lydia schossen die Tränen in die Augen.
    Frau Dr. Dunkelmann sah sie verständnisvoll an. „Es tut mir leid. Ich kann Ihnen dies nicht ersparen.“
    Lydia nickte. Die Ärztin nahm einen Notizblock und einen Kugelschreiber zur Hand. „Was ich bis jetzt aus den Krankenunterlagen weiß, ist, dass Lisas Mutter sich umgebracht hat, und dass Sie Lisa bei sich aufgenommen haben. Erzählen Sie

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