verwundet (German Edition)
Nein, sie ist meine Cousine.“
„So, so.“ Angelikas Stimme klang skeptisch. „Willst du sie nicht an unseren Tisch bitten?“
„Nein, wir müssen gleich weiter.“ Rembrandt beugte sich vertraulich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie schüttelte den Kopf und schob seine Hand weg, die sich gerade um ihre Taille legen wollte. Obwohl sie leise sprach, konnte Harald ihre Worte verstehen. „Wir sollten alte Geschichten nicht wieder aufwärmen.“ Rembrandt erhob sich sichtlich verärgert. „Nur nichts übereilen. Du kannst es dir ja noch mal überlegen. Ich rufe dich an, wenn ich wieder hier bin. Bis dann.“ Er verließ den Tisch, ohne sich von Harald zu verabschieden.
Harald erwartete eine Erklärung, doch Angelika sagte nur: „Ich würde jetzt gerne gehen.“
Auf dem Heimweg zerbrach Harald sich den Kopf, wer dieser Rembrandt war. Angelika setzte das Gespräch fort, bei dem sie unterbrochen worden waren, als ob nichts gewesen wäre. Also erzählte er weiterhin über die Regenwälder, konnte sich aber nicht mehr so hundertprozentig darauf konzentrieren.
Nach einigen Minuten des Schweigen sagte sie: „Wir waren Tanzpartner in einem Verein für Tanzsport.“
„Der schien aber einen ganz bestimmten Tanz zu wollen, so wie er dich mit seinen Blicken ausgezogen hat.“ Als sie keine Antwort gab, fragte er: „Tanzt du noch?“
„Ab und zu springe ich ein, wenn Holgers Tanzpartnerin bei Wettbewerben ausfällt.“
Diese Antwort stellte ihn keineswegs zufrieden. „Na ja, jetzt weiß ich wenigstens, woher du so sportlich bist.“
„Ja, tanzen hält fit“, sagte sie und warf ihm einen ironischen Blick zu.
Drei Wochen später beklebte Harald pfeifend Plakatwände. Er war so glücklich wie lange nicht mehr. Angelika war witzig, geistreich und klug. Er liebte ihre Schlagfertigkeit, wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal so befreit gelacht hatte wie mit ihr. Sie hatten sich fast täglich gesehen und auch an den Wochenenden viel zusammen unternommen. Ihre Gespräche über Bücher und Kunst waren unglaublich intensiv. Alles in ihrer Gegenwart war lebendig, spannend und aufregend. Sie war viel kurzweiliger und lebensfroher als Lydia, hemmungsloser im Bett und ungewöhnlich freigeistig. Persönliches zu erzählen, vermied er jedoch, und auch sie fragte er lieber nicht allzu viel. Er wusste, dass Fragen auch Gegenfragen erzeugten, und er wollte endlich seine verdammte Vergangenheit hinter sich lassen. Sobald sie eine persönliche Frage stellte, wich er ihr aus, erzählte ihr eine lustige Geschichte oder lenkte anderweitig ab. Durch die Besuche in der Käthe-Kollwitz-Ausstellung und in einer riesigen Buchhandlung hatten sie sowieso nie unter einem Mangel an Gesprächsstoff zu leiden gehabt. Schließlich hatten sie sich noch die Bilder von Gauguin angesehen, die sie beide etwas langweilig fanden, hatten einen Flohmarkt besucht, und er schnalzte genüsslich mit der Zunge, natürlich hatten sie viel Zeit im Bett verbracht. Alles stimmte, das Leben war schön.
*
***
E s war Mittwochvormittag. Lydia saß vor dem Büro von Frau Dr. Dunkelmann. Sie hatte durch Frau Kraus erfahren, dass die Psychiaterin in der Buchhandlung angerufen hatte, und nun war sie gespannt, ob es Neuigkeiten über Lisa gab. Als sie rasche Schritte hörte, sah sie auf und wirklich, es war die Ärztin, die auf sie zukam und ihr zulächelte. „Frau Kaufmann. Schön, Sie zu sehen.“ Sie reichte Lydia die Hand.
„Ja. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, aber ich musste einfach mal raus und war daher verreist.“
Die Ärztin schloss ihr Büro auf, und bat Lydia einzutreten. „Und, haben Sie sich erholen können?“
„Ein wenig.“
Sie setzten sich und Frau Dr. Dunkelmann bot ihr Kaffee an. Als Lydia dankend ablehnte, sagte sie: „Frau Kaufmann. Ich komme nicht weiter mit Lisa. Sie hat Alpträume. Fast jede Nacht. Lisa spricht mit niemandem. Ehrlich gesagt, wundere ich mich auch darüber, dass Ihr ehemaliger Lebensgefährte sich überhaupt nicht meldet. Ich wollte Sie daher um seinen Namen und die Telefonnummer bitten. Vielleicht hilft es, wenn sich jemand direkt aus der Klinik an ihn wendet.“
„Ja, die kann ich Ihnen natürlich geben, aber ich glaube nicht, dass von Herrn Wiebke viel Hilfe zu erwarten ist. Er …“
Sie wurde unterbrochen. „Entschuldigen Sie. Wie war der Name?“
„Wiebke. Harald Wiebke.“ Sie wunderte sich etwas über die Frage und den Gesichtsausdruck der Ärztin, den sie jedoch nicht deuten
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