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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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den Sessel gekuschelt hatte, um Musik zu hören. Nun hatte sie Lydia endgültig verloren. Stumm lag sie da. Sie schien nur noch aus diesem wütenden Brennen zu bestehen, während sie gleichzeitig das Gefühl hatte, dass die Musik des Orchesters in sie eindrang, sie ausfüllte, und so existierten nur zwei Empfindungen in ihr, die Trauer um Lydia und die Klänge der Komposition. Sie fühlte sie geradezu körperlich, die Töne drangen in sie, sie rauschten durch ihr Blut, ihr Leib schien mitzuschwingen. Sie überließ sich diesem Gefühl, und nun geschah etwas Wunderbares. Die Musik war so schön, dass Lisa eine Gänsehaut bekam. Etwas in ihr wurde weicher, der Schmerz war leichter geworden. Die ganze Welt, ihre ganze Seele, ihr Körper, ihr Kopf, alles dies war von der Sinfonie erfüllt. War das der Zauber, von dem Lydia immer gesprochen hatte, die Magie der Musik, dass einem so froh zumute wurde, wenn man sie hörte? Die Sinfonie verklang. Lisa sah Frau Kesten, die sie beobachtet hatte, mit staunenden Augen an und sagte leise: „Danke!“
    Diese lächelte. „Schön, dass dir die Musik gefallen hat, das können wir jetzt öfter machen.“
    Lisa nickte. Sie war noch ganz erfüllt von dem Erlebnis und seltsam frohgemut. Von jetzt an hörten sie täglich zusammen Musik. Frau Kesten machte Lisa mit allen möglichen Komponisten bekannt. Sie spielte ihr Ravel, Tschaikowsky, Brahms vor, und Herr Kesten schleppte alles an, was er zu Hause an Kassetten auftreiben konnte. Sie genossen die ruhigen Stunden und freundeten sich darüber etwas an. Die Musik war etwas, was sie verband. Sie begannen, sich zu unterhalten. Frau Kesten erzählte ihr, dass sie ihren Sohn durch einen Autounfall verloren und dadurch Depressionen bekommen habe. Lisa war entsetzt und schämte sich, dass sie sich bis jetzt nicht für Frau Kesten interessiert hatte. Doch diese winkte ab, sie hatte Lisa ohne Worte verstanden und sagte: „Mädchen, ich weiß zwar nicht, was für Sorgen du hast, aber sie sind sicher nicht von Pappe, das habe ich schon gemerkt. Da hast du genug mit dir selbst zu tun.“
    Lisa begann nun langsam, ihr Herz zu öffnen. Sie erzählte ihr von dem Selbstmord ihrer Mutter und den Schlägen ihres Vaters. Frau Kesten hörte teilnahmsvoll zu. Sie sagte nicht viel, bekam aber feuchte Augen. Sie erhob sich und strich Lisa sanft über die Wange. Dann schaltete sie den Kassettenspieler ein und legte die Pastorale von Beethoven auf, eine seiner fröhlichsten Sinfonien. Im Stillen beglückwünschte sie sich selbst, die Idee mit der Musik gehabt zu haben. Musik konnte oft heilen, wo Menschen nichts mehr ausrichten konnten. Lisa schien entspannter und ruhiger zu sein, seit sie zusammen die Musik genossen. Frau Kesten selbst hatte lange Zeit Musik nicht ertragen können, weil sie sie an ihren Sohn erinnert hatte, der ein begeisterter Klassikliebhaber gewesen war. Sie hatten oft gemeinsam Konzerte besucht. Jetzt, zwei Jahre nach seinem Tod, half ihr die Musik wieder, mit ihren Gefühlen, ihrer Trauer, ihren dunklen Stunden fertig zu werden. Und als sie ihren Mann gebeten hatte, ihr das Musikgerät mit in die Klinik zu bringen, hatte sie es mit der Hoffnung verbunden, dass die Musik auch dem Mädchen helfen könne. Sie setzte sich wieder, lehnte sich im Sessel zurück und dachte über das Leben nach. Sie verlor ihren Sohn, den sie über alles geliebt hatte, als er zwanzig war, und hier war ein Mädchen im gleichen Alter, das keine Elternliebe gekannt hatte und jetzt allein auf der Welt stand. Sie beobachtete Lisa, die völlig versunken den Tönen lauschte. Was für hübsche, traurige Augen das Mädchen hatte. Frau Kesten hielt viel von Frau Dr. Dunkelmann und hoffte, dass sie Lisa helfen konnte.
    So verging die Woche, vor der sich Lisa so gefürchtet hatte. Als sie schließlich am Mittwoch wieder vor der Psychiaterin saß, hatte sie ein abweisendes Gesicht aufgesetzt. Die Ärztin registrierte dies sehr wohl, tat aber so, als bemerke sie es nicht. Sie hatte sich genau beim Pflegepersonal erkundigt, was in der Woche vorgefallen war. Sie war informiert über das Geschwür, die wieder einsetzende Apathie des Mädchens bei ihrer Abreise und über die gemeinsamen Musikstunden mit Frau Kesten.
    „Nun Lisa, wie geht es dir heute?“
    „Gut.“
    „Das wirkt aber nicht so.“
    Lisa zuckte mit den Schultern, erwiderte nichts.
    „Hast du noch Schmerzen?“
    Lisa schüttelte nur mit dem Kopf.
    „Hast du schlecht geträumt?“
    Wieder nur ein

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