Verzauberte Herzen
gestellt hatte. Sie hatten ihr bereits das wollene Nachtkleid
ausgezogen und sie in ein weißes Leinengewand gesteckt, das ihnen für ein
Jungfrauenopfer passender erschienen war.
Granny Hay
starrte ihr geradewegs ins Gesicht, während die anderen ihr das graubraune
Kopftuch abnahmen und die kunstvoll geflochtenen Haare lösten. »Ihre Mutter war
so schön! Was für ein Jammer, dass die Kleine nicht nach ihr kommt.«
Die Worte
der Alten taten Gwendolyn kaum noch weh. Sie hatte sich längst daran gewöhnt,
in einer Familie von legendären Schönheiten lediglich die Kluge zu sein.
Granny zog
ihr die Unterlippe herunter und schaute ihr in den Mund. »Sie hat aber gute
Zähne und ein paar hübsche Grübchen«, stellte sie fest, wobei sie ihre eigenen
gelben Zahnstummel gut verbarg.
»Und
schönes goldenes Haar«, meinte Marsali und fuhr ihr mit rußigen Fingernägeln
durch die schimmernden Fluten. Ihre eigenen mausgrauen Locken hingen ihr
strähnig und ungewaschen ins Gesicht.
»Wenn sie
nur nicht so rund wäre«, geiferte Ailberts Frau, die Gwendolyns Versuch,
Ailbert als Liebhaber zu reklamieren, noch nicht verwunden hatte. Die
wohlbeleibte Dame hätte sie auch vertrocknet an Gewicht weit übertroffen,
aber Gwendolyn verkniff sich die Bemerkung.
»Ist doch
ganz gut, dass es dich getroffen hat, Mädchen«, meinte Marsali und warf einen
verliebten Blick zur Wiege hinüber, wo ihre Kleine – sicher vor des Drachen
Klauen – selig schlief. »Du bist jetzt fast fünfundzwanzig und hast kaum
Hoffnung, in diesem Alter noch einen Ehemann zu finden.«
»Ich bin
jünger als Glynnis und Nessa«, protestierte Gwendolyn.
»Ja, aber
Glynnis hat schon zwei Ehemänner beerdigt, und Nessa kann sich im Dorf
aussuchen, wen sie will.«
»Vielleicht
würde der alte Tavis Gwennie ja nehmen«, schlug Kitty optimistisch vor.
Gwendolyn
erschauderte. »Nein, danke. Lieber soll mich der Drachen zerfleischen, bevor
ich mich von diesem niederträchtigen Greis zu Tode mümmeln lasse.«
Marsali
breitete gerade Gwendolyns Haar zu einem schimmernden Mantel aus, als ein
Donnerschlag das Cottage erschütterte und alle entsetzt aufsprangen. Gwendolyn
faltete die Hände, um ihr Zittern zu verbergen.
»Du
brauchst dir um Papa keine Sorgen zu machen«, versicherte Nessa, »wir kümmern
uns schon um ihn.«
»Als ihr
das letzte Mal auf ihn aufpassen solltet, hat sein Nachthemd Feuer gefangen,
weil du ihn zu nahe an den Herd gesetzt hast, bevor du mit dem Neffen des
Metzgers losgezogen bist.«
Glynnis senkte
ihr Taschentuch. »Ab jetzt werde ich Nessa helfen.«
»Du bist
diejenige, die ihn, nur mit einem kurzen Kilt und einem Breitschwert bekleidet,
auf der Jagd nach unsichtbaren Rotröcken in einen Schneesturm hat laufen
lassen. Er war schon halb erfroren, als ich ihn endlich gefunden habe«,
erinnerte Gwendolyn sie.
Sie presste
die Hände fest zusammen und kämpfte gegen einen Anflug von Panik. Es war
offensichtlich, dass Kitty sie nicht mehr brauchte, aber was sollte aus Papa
werden? Izzy mit ihrem cholerischen Geschrei würde keine Stunde brauchen, um
die verwirrte alte Seele zum Weinen zu bringen.
»So etwas
wie Drachen gibt es nicht«, flüsterte sie tonlos. »Und ich werde früh genug
wieder daheim sein, um Papa das Porridge herzurichten.«
Lauter
Krach erschütterte erneut das Gebälk und erschreckte Gwendolyn zu Tode. Aber
erst, als sie die schuldbewussten, aschfahlen Gesichter der Frauen sah, merkte
sie, dass es kein Donner war, der sie erschreckt hatte, sondern Fäuste, die
gegen die Eingangstüre trommelten.
Sie waren
gekommen, sie zu holen.
Obwohl sie ihr die Handgelenke vorm Körper
gefesselt hatten, war es Gwendolyn, die mit grimmigem Gesicht den Pöbel
anführte. Sie hatte sich nicht an einem Strick nachziehen lassen wollen. Der
Wind wehte ihr die Haare ins Gesicht. Blitze durchzuckten den Himmel, der
Donner schwoll an und grollte wie der leere Magen einer riesigen Bestie. Gwendolyn
wusste, dass es bald regnen würde und erschrak dann doch, als ihr die ersten
kalten Tropfen ins Gesicht fielen.
Der Regen
ließ die Fackeln knistern und zischen. Gwendolyn konnte das nasse Pech schon
riechen.
Ross und
Ailbert nahmen sie jetzt in die Mitte und trieben sie den steilen engen Pfad
hinauf, der sich zu den Klippen hochwand. Bald hatten sie den bedrohlichen Schatten
Weyrcraig Castles erreicht.
Die
verfallene Festung hoch oben in den Klippen war von gespenstischer Schönheit.
Heute Nacht
flackerten keine Lichter durch die leeren
Weitere Kostenlose Bücher