Verzauberte Herzen
von
irgendwoher aus der Vergangenheit meldete sich das kleine Kind zu Wort, das sie
einst gewesen war. Das Mädchen, das überzeugt gewesen war, dass kauernde Kobolde
sich in schöne Jünglinge verwandelten, um unschuldige Mädchen in den Untergang
zu locken, dass Irrlichter die Moore durchgeisterten und dass ein Junge mit
smaragdgrünen Augen sie für einen Engel halten würde.
Sie suchte
mit den Augen die Schatten ab und stellte entsetzt fest, dass sie doch nicht
allein war. Irgendwer ... oder irgendetwas ... beobachtete sie.
Gwendolyn
wollte diesem Wesen, mochte es nun real oder eingebildet sein, nicht
angstgebeugt gegenüberstehen und richtete sich mit letzter Kraft gerade auf.
»Ich glaube
nicht an dich«, hob sie an, doch ihr dünnes Gekrächze machte sie verlegen. Sie
versuchte es ein zweites Mal. »Wir schreiben das Jahr 1761, nicht etwa 1461.
Und ich bin auch keine dumme Bäuerin, die du mit deinem abergläubischen Unsinn
verschrecken kannst!«
Doch nur
der leise Regen antwortete ihren trotzigen Worten, und Gwendolyn fragte sich,
ob sie irgendwo auf dem qualvollen Weg zum Schloss ihren Verstand verloren
hatte.
Sie
schüttelte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich lasse dich hiermit
wissen, dass ich mich der Wissenschaft und dem logischen Denken verschrieben
habe. Jedesmal wenn Reverend Throckmorton nach London fährt, bringt er mir die
Schriften der Königlichen Gesellschaft zur Erlangung
Naturwissenschaftlicher Erkenntnisse durch Experiment mit!«
Ein
Windstoß verwehte ihre Worte und trieb ihr Gänsehaut auf die Arme. Dort
drüben. Links in der Ecke hatte sich etwas bewegt – oder etwa nicht?
Während sie noch hinüberstarrte,
schien sich ein dunkles Etwas aus dem Schatten zu lösen. Es waren nicht Regen
und Kälte, die Gwendolyn jetzt bis in die letzte Faser ihres Körpers erbeben
ließen.
»Es gibt
dich nicht«, flüsterte sie und betete, es möge wahr werden, wenn sie es nur oft
genug wiederholte. »Du existierst nicht. Du bist nicht wirklich. Ich glaube
nicht an dich.«
All ihre
Instinkte befahlen ihr, die Augen zu schließen, damit das Ding, das langsam aus
dem Dunkel kam, verschwand.
Aber ihre Neugier – die gleiche, die sie damals veranlasst hatte, eines von
Izzys Haarbändern in Öl zu tauchen und anzuzünden, während Izzy das Band noch
in den Haaren hatte –, diese verfluchte Neugier ließ sie noch nicht einmal
zwinkern.
Am Ende
waren es dann nicht die starren Flügel aus Ebenholz, die sich von seinen
prächtigen Schultern schwangen oder der
silbrige Dampf, der aus seinen Nasenlöchern rauchte, was Gwendolyn das
Bewusstsein verlieren ließ. Es war sein Gesicht – ein Gesicht, das
schrecklicher und schöner war, als sie es sich je hätte erträumen können.
Dieses
Gesicht war das Letzte, was sie sah, bevor ihr die Sinne schwanden und sie in
eine tiefe Ohnmacht fiel.
3
Dem Mann, der sich Drache von Weyrcraig
Castle nannte, fiel vor lauter Fassungslosigkeit die brennende Zigarre aus dem
Mund in eine Pfütze, als er die Gabe der Dorfleute ungläubig in Augenschein
nahm.
»Ich weiß,
dass dir der Ruf vorauseilt, Frauen in Ohnmacht fallen zu lassen«, bemerkte
sein Begleiter, trat aus dem Schatten und zog die hellen Augenbrauen hoch,
»aber dass dazu schon dein bloßer Anblick genügt, wusste ich noch nicht.«
Der Drache
umkreiste in seinem wehenden, schwarzen Umhang den Pfahl. »Was zur Hölle hat
sie dazu veranlasst, mir eine Frau zu bringen? Ich wollte nur etwas Wildbret
und Whisky, um mich in diesen elenden Nächten etwas aufzuwärmen.«
»Ich wette,
sie wird dich aufwärmen.« Sein Freund betrachtete bewundernd den vollen Busen
und die geschwungenen Hüften der Fremden. »Sie ist genau das, was meine
Großtante Taffy, die einstige Mätresse von Georg I., ganz unverblümt als
›gute Bruthenne‹ bezeichnet hätte.«
Die Frau
trug einen durchsichtigen Stofffetzen, der eher ein Hemdchen war, denn ein
richtiges Kleid. Der Regen hatte ihr den Stoff so auf die Haut geklebt, dass
wenig übrig blieb, worüber ein Mann noch hätte fantasieren müssen. Die Konturen
der dunklen Brustwarzen drückten sich schüchtern zwischen den klatschnassen,
honigblonden Strähnen hervor, die ihre Brust bedeckten.
Als ihm
auffiel, dass er sie genauso hingerissen anstarrte wie sein Kumpan, nahm der
Drache seinen Umhang ab, legte ihn um ihre Schultern und fluchte leise.
Die
Ohnmacht hatte sie nach vornüberkippen lassen. Er hob ihr Kinn mit einem Finger
und musterte ihr markantes, aber
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