Verzaubertes Verlangen
würde.«
Venetia schaute sich verängstigt um. Ein großes, überwuchertes Aquarium nahm die Mitte des Raums ein. Der größte Teil des Gestanks ging davon aus. Doch es waren die Ward’schen Kästen, die die Wände säumten, die ihr eine Gänsehaut bereiteten.
Sie hatte gedacht, dass sie unmöglich noch mehr frösteln oder noch mehr Angst haben könnte, doch in diesem Moment erkannte sie, dass sie sich geirrt hatte.
»Was haben Sie in diesen Glaskästen?«, fragte sie.
»Eine interessante Sammlung kleiner Raubtiere«, antwortete
Stilwell und schubste sie weiter. »Man kann so viel durch die Beobachtung von Geschöpfen lernen, die nicht von den Fesseln der Zivilisation zurückgehalten werden.«
Sie erkannte, dass er sie zu einem der größeren Ward’schen Kästen steuerte. Der Kasten stand auf einem Eisengestell. Sie konnte exotische Farne darin wachsen sehen. Bösartige, starre Augen beobachteten sie durch das Glas.
Stilwell zog sie an dem riesigen Aquarium vorbei. Venetia schaute hinein und sah einen Schleier aus großen grünen Blättern und zwei tote Fische direkt unter der Oberfläche. Das Wasser war so dunkel, dass sie nichts weiter erkennen konnte.
»Es fällt mir schwer zu glauben, aber es scheint, dass die Lage sich verändert hat, Mrs. Jones«, sagte Stilwell. »Ich muss eine Weile untertauchen. Selbstverständlich werden Sie mich begleiten. Sie müssen Jones für mich überreden, das unretuschierte Foto von der Truhe herauszurücken.«
»Was ist denn so Besonderes an dieser Truhe?«, fragte sie.
»Sie enthält die Liste der Zutaten, die für das Gegengift gebraucht werden.« In seinen Worten schwang Frustration und Zorn mit.
»Wovon reden Sie?«
»Das verfluchte Elixir wirkt, laut den Aufzeichnungen des Alchemisten, aber nur für kurze Zeit. Es handelt sich dabei genau genommen um ein schleichendes Gift. Der Gründer der Arcane Society war wirklich ein verschlagener Hund. Er hat die Zutaten für das Gegengift auf dem Truhendeckel aufgelistet, wohlwissend, dass jeder, der die Formel für das Elixir zu stehlen versucht, höchstwahrscheinlich die schwere Truhe zurücklassen würde.«
Eine kaum merkliche Bewegung im Wasser ließ sie abermals
in das Aquarium schauen. Sie sah, wie sich die Laubdecke aus Wasserpflanzen hob. Etwas Großes regte sich unter der Oberfläche.
Sie wollte schreien, doch es blieb keine Zeit. Eine monströse, mit tropfenden Pflanzen und einer Art urzeitlichem Schleim bedeckte Kreatur schoss aus den Tiefen das Aquariums empor.
Stilwell reagierte erstaunlich schnell, doch er war überrumpelt worden. Er war noch immer im Umdrehen begriffen, als die Kreatur aus dem Aquarium auch schon auf ihm landete.
Die Pistole in Stilwells Hand knallte, als er zu Boden ging. Das Glas eines der Ward’schen Kästen zersplitterte.
Venetia warf sich zur Seite und prallte hart gegen die Kante des Aquariums. Sie sah, wie Gabriel Stilwells Pistolenarm packte und ihn gegen den massiven Holzrahmen schlug.
Stilwell stieß einen Schmerzenslaut aus. Die Pistole landete auf dem Boden und schlitterte unter den kaputten Glaskasten.
Stilwell verdrehte sich mit einem Ruck und langte unter seinen Mantel.
»Er hat ein Messer«, rief Venetia.
Keiner der beiden Männer schien sie zu hören. Sie befanden sich in einem unerbittlichen Zweikampf. Das dumpfe Klatschen von Fäusten, die auf Fleisch einhieben, hallte durch das Zimmer. Die kalten Augen, die aus den Glaskästen heraus alles beobachteten, funkelten.
Venetia umrundete das Aquarium und eilte zu der Pistole.
Just in dem Moment, als sie sich bückte, um die Waffe unter
dem Vitrinenständer hervorzuholen, bewegte sich etwas in dem zerbrochenen Glaskasten darauf. Sie wich instinktiv mit einem Ruck zurück.
Eine zierliche Schlange ließ sich von den Glasscherben fallen und landete auf dem Boden. Getrieben von dem Urinstinkt, Schutz und Unterschlupf zu suchen, glitt sie unter den Ständer und hielt inne, als sie gegen die Pistole stieß. Sie wickelte sich um den Lauf, als könnte er ihr Zuflucht spenden.
Venetia wich erschaudernd zurück und drehte sich um. Suchend schaute sie sich nach etwas um, mit dem sie die Schlange töten konnte, um an die Pistole zu gelangen.
Sie bemerkte, dass es Stilwell gelungen war, sich aufzurappeln. Er hatte das Messer in Händen und stürzte sich damit auf Gabriel, der am Boden lag.
Venetia konnte das alles nur entsetzt mit ansehen. Sie war zu weit entfernt, um einzugreifen.
Doch Gabriel reagierte bereits, indem er in
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