Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
Vom Netzwerk:
sah die Dachluke, konnte durchschauen. Ich sah Natascha im weißen Lieferwagen, in einem Schacht. Ich wollte das alles nicht mehr sehen, ich hatte nicht die Kraft, die Augen aufzumachen. Die Scheinwerfer der Autos, die uns überholten, blendeten mich durch die Lider. In ihrem Schatten sah ich dunkle Wagen in die Gegenrichtung fahren. In einem davon Natascha. Celine Dion sang. My heart will go on. Ein Lied, das mich an meine Tochter erinnerte. Es verzerrte sich zu einer unerträglichen Dissonanz. Die dunklen Autos umrundeten mich. In jedem davon Natascha. Ich überließ mich dem Wahnsinn.
    Jemand rüttelte mich. »Aussteigen, Frau Sirny«, sagte mein Fahrer, »Sie sind daheim, soll ich Sie hinaufbegleiten ?« Er sperrte die Haustür auf, holte den Lift, öffnete die Wohnungstür, reichte mir den Schlüssel. »Kommen Sie allein zurecht ?« »Ja, danke für alles«, brachte ich heraus. Es dürfte gefasst geklungen haben. Er verabschiedete sich. Das dunkle Auto ließ mich nicht los. Ich wusste nicht mehr, woher es gekommen war. Hatte es jemand gesehen? Hatte jemand angerufen? Es war auf dem Weg nach Passau. Mit Natascha. Das war keine Einbildung, es war real. Ich stürzte zum Telefon, wählte die Auskunft an. Grenzstationen. Passau. Das Fräulein kannte sich zuerst nicht aus, sie gab mir drei Nummern, zur Sicherheit. Bei der ersten lief ein Tonband. Bei der zweiten meldete sich die Grenzpolizei. Ein dunkles Auto, sagte ich, es ist auf dem Weg nach Passau, Natascha Kampusch sitzt drinnen, halten Sie den Wagen auf, halten Sie alle dunklen Wagen auf. Ich hörte, dass wer was sagte, aber ich redete weiter, meine Tochter, Sie müssen meine Tochter da rausholen. Ich ließ mich auf der Couch zurückfallen, der Hörer entglitt mir, ich keuchte, als wäre ich gelaufen. Das Handy läutete. Ich war wieder hellwach. »Ja ?« , schrie ich. »Sicherheitsbüro.« »Ja.« »Frau Sirny. Was machen Sie da ?« »Was?« »Kollegen von der Grenze rufen uns an. Sie sagen, Sie sind total verstört. Was ist da mit dem dunklen Auto ?« »Die Natascha.« »Die ist in keinem dunklen Auto. Frau Sirny. Hören S’ auf damit .« »Passau.« »Nein! Die Ermittlungen müssen S’ schon uns überlassen. Mischen Sie sich da nicht ein .« Ich legte auf. Rief die Auskunft an. Verlangte die Nummer einer Tankstelle in Passau. Ich bekam wieder mehrere. Ich verwählte mich. Probierte es noch einmal. Eine Männerstimme. »Sie müssen auf die dunklen Autos schauen. Da sitzt ein Mädchen drin. Natascha. Natascha Kampusch. Die haben sie entführt. Helfen Sie mir. Helfen Sie mir doch !« Tüt-tüt-tüt-tüt-tüt.

*

    »Frau Sirny, Sie müssen jetzt stark sein .« Der Beamte aus der Gruppe Fleischhacker im Wiener Sicherheitsbüro sprach ruhig, aber eindringlich. Seine Hand lag auf meiner Schulter. »Wir wissen, dass es Ihnen nicht so gut geht, und es wird jetzt sehr heftig für Sie werden, aber es geht nicht anders .«
    Ich hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. »Wir haben da ein paar Videos sichergestellt. Szenen mit Kindern, Sie wissen schon .« Ich wusste nicht. »Furchtbare Szenen, es handelt sich um Kinderpornografie. Wir können jederzeit abbrechen, wenn’s Ihnen zu viel wird .« Er schaltete den Fernseher ein und drückte auf Play. Es gab keinen Vorlauf. Ich war sofort mitten im Entsetzlichsten. Ein Kind lag auf einem Bett. Ohne die Fesseln hätte man glauben können, es schliefe. Dann erst fiel die unnatürliche Haltung auf. Und das Gesicht. Es sah aus wie das von Natascha, im ersten Moment. Die Ähnlichkeit nahm mir den Boden unter den Füßen. »Ist sie es ?« Ich schüttelte den Kopf. Er ließ das Band schneller weiterlaufen. Derweil griff er in eine Schreibtischschublade und holte einen Ohrring hervor. »Kommt Ihnen der bekannt vor ?« Ich drehte ihn zwischen den Fingern hin und her. »Nein, noch nie gesehen .« Ich schloss die Hand um das winzige Schmuckstück, als könnte ich mich daran festhalten. Der Beamte gab mir ein paar Minuten. Er stoppte den Vorlauf des Videos. »Eins noch, Frau Sirny, dann sind wir fertig .« Er sah mich von der Seite an. »Soll ich den Amtsarzt holen ?« »Nein, geht schon .« Das Band lief an. Die erste Szene war nicht die entsetzlichste gewesen. Die Kamera zeigte das Bild eines Mädchens mit abgetrenntem Rumpf. »Frau Sirny.« »Frau Sirny?« »Sie ist es nicht .« Ich hatte nur die Lippen bewegt, der Beamte wartete immer noch auf meine Reaktion. Er las sie in meinem Blick. »Soll Sie jemand nach Hause führen ?« ,

Weitere Kostenlose Bücher