Verzweifelte Jahre
allein.
Sabina öffnete die Terrassentür, der warme Wind bauschte den Vorhang, ich sah die Palmen, den Pool, den Strand durch den zarten weißen Stoff. Von hier mussten sie fotografiert haben für den Katalog.
Sabina ging hinaus. »Schau mal, da unten sind immer noch genug Liegen frei .« Sie drehte sich zu mir um. »Komm .« Sie winkte mich auf den Balkon.
Ich machte mich am Koffer zu schaffen. »Später«, sagte ich. Sie musste nicht alles wissen. Wir machten so etwas Ähnliches wie Urlaub. So musste es zumindest für die anderen Gäste gewirkt haben. Wir fielen nicht auf. Die Kinder spielten im Wasser. Wir tranken Kaffee in der Pool-Bar. Wir gingen am Strand spazieren. Einmal machten wir einen Ausflug mit. Am Mittwoch, zum Hippie-Markt, Sabina sollte nicht ganz umfallen um ihre Ferien, sie hatte sie verdient. Wir kauften Mitbringsel für die anderen Kinder. Ich fand eine kleine Madonna für Natascha. Ich suchte weiße Häuser. Ich ließ mir meine Unruhe nicht anmerken. Hatte wieder meine Mutter im Ohr: Die anderen müssen nicht wissen, wie es in dir ausschaut. Ich wusste es selber nicht. Gegen Abend wurde das Gefühl stärker. Die Hotel-Idylle brachte mich aus meiner künstlich erschaffenen Balance. Unmengen von Bougainvillea leuchteten rotviolett, die Dämmerung ließ die Farben satter erscheinen. Die Gitarrenmusik zupfte an den Nerven, der Samba-Rhythmus war mir aufdringlich. Tanzende Menschen, lachende Gesichter, unbeschwertes Leben. Ekelhaft, hätte ich gern laut gesagt, aber es hätte niemand verstanden. Wir gingen nach Ibiza Stadt. Zehn Minuten zu Fuß. Die Luft war angenehm kühl, die Häuser wurden weißer. Wir kamen an den ersten Lokalen vorbei, ich warf einen Blick hinein, die Kinder tanzten um uns herum. An den Bars standen Menschen in Dreierreihen, lehnten an den Stehtischen davor, Drinks mit Schirmchen und Strohhalmen in den Händen. Es war keine Umgebung für Mädchen in Nataschas Alter, ich sah trotzdem in jedes Gesicht. Wir gingen Richtung Hafen. Männer mit dunklen Augen und weißen Sakkos streiften uns im Vorbeigehen. »Hola«, sagte einer und schaute Sabina mit einem nicht jugendfreien Blick an. »Mama, ich dreh um mit den Kindern«, sagte sie. Michelle und René hatten nicht bei dem Kindermädchen im Hotel bleiben wollen, sie war nett, aber sie sprach nur Englisch. »Ist gut«, sagte ich, »ich geh allein weiter .« Ich ging in eine Bar, die noch nicht überfüllt war, und setzte mich an einen Tisch an der Wand. Nicht weit von mir saßen vier Männer, einer mischte Karten. Ich bestellte Mineralwasser, der Kellner sah mich an, als hätte ich ihn in seiner Ehre gekränkt. Eine Live-Band spielte etwas Kubanisches. Eine Sängerin um die fünfzig kündigte die nächste Nummer an. Lagrimas negras. Sie übersetzte es mit black tears, schwarze Tränen. Beim Refrain schob sich ihr Pailletten-Kleid am Oberschenkel hoch. Jemand zündete sich eine Zigarre an, auf einem Nebentisch stand eine leere Whiskyflasche, umgeben von kaltem Rauch. »Jack«, sagte eine Frau hinter mir liebevoll, »wie in Panama, oder?« Sie hatten alle ihre Erinnerungen. Meine waren nicht aus Panama. Ich nippte an meinem Mineralwasser und schaute mich um. An dem Tisch der Kartenspieler war es ruhig, sie hatten eben ihr Blatt bekommen. Ich sah den Herz-König. Der Spieler, der mit dem Gesicht zu mir saß, musterte seine Karten und spielte den Herz-König aus. Er hatte eine Narbe über dem linken Auge, die seine Augenbraue in zwei Hälften teilte. Langsam zog ein Grinsen um seinen Mund auf, ein Goldzahn blitzte. Die anderen drei warfen ihre Karten auf den Tisch. Er wandte nicht ein einziges Mal den Blick ab von den anderen, während er die Karten einsammelte, sich im Sessel zurücklehnte, den Arm hob, den Kellner herbeischnippte, auf die leeren Tequila-Gläser deutete. Er drehte den Stoß Karten in den Händen, legte sie ab, nahm sie wieder auf, fächerte sie im Halbkreis vor sich auf, nahm zwei davon aus der Mitte, stellte sie hochkant aneinander. Die Tequilas kamen. Er nahm noch zwei Karten, stellte sie daneben. Er griff nach einem Glas, trank, schleuderte es auf den Boden, es zersprang in tausend winzige Kristalle. Er zog wieder eine Karte, legte sie quer über die vier anderen, ließ sachte los, baute darauf eine Spitze, betrachtete sein Werk. Sein Gegenüber schlug mit der Faust auf den Tisch, der Turm stürzte ein. Durch den Fall des Turmes werden die Illusionen zerstört und in der Karte des Sterns findet der Reisende das
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