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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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fragte er. »Sie sollten jetzt nicht Auto fahren .« Ich stand einfach auf und verließ das Büro. Ich bewegte mich wie unter Drogen. Die Stiegen hinunter, hinaus auf den Gehsteig, zu meinem Auto. Menschen schlenderten an mir vorbei, ich ging zwischen ihnen durch wie in einem unsichtbaren Tunnel. Es war, als wäre ich in diese Stadt hineinkopiert. Ich startete den Wagen, reihte mich in den Verkehr ein, alles automatisch. Ich sah nur mehr mich auf der Straße. Eine Ampel sprang auf Rot. Mein Auto hielt, hatte ich gebremst? Ich war’s, sagte die Stimme in meinem Inneren, ich mach das schon. Hast du es auch gesehen ?, fragte ich. Ja, sagte das andere Ich. Wer macht so was? Menschen, sagte die Stimme.

*

    Ich arbeitete wieder. Die Tage waren zu lang, um sie einfach auszusitzen, und das Handy machte mich unabhängig. Unabhängig. Als ob ich noch wüsste, was das war.
    Ich fuhr meine alten Essen-auf-Rädern-Routen. Holte die Rationen in der Böcklinstraße, spulte meine Kilometer ab. Wie früher. Alles gleich, nur ich nicht. Im Auto kreisten meine Gedanken um die Dinge meines spärlichen Alltags. Hatte ich noch Katzenfutter daheim? Brauchte meine Mutter etwas? Hatte ich den Enkelkindern was versprochen? Kaum aber betrat ich ein Haus, in das ich Essen zu liefern hatte, legte sich ein Schalter um im Hirn. Der Begehschlüssel, den alle Mitarbeiter bekommen, um bettlägerige Kunden zu betreuen, weil man damit Zutritt zu allen Gebäuden mit Gegensprechanlage hat, war der Schlüssel zu Natascha. Hinter jeder Wohnungstür konnte sie sein. Ich hörte Kinderstimmen, manchmal nur ganz leise. Ich sah Schuhe vor den Türen stehen, schwarze Halbschuhe. Manchmal ging Sabina mit. Sie hörte nicht alles, was mir auffiel. Sie zog mich weiter, wenn ich irgendwo anläuten wollte. Irgendwo, wo ein Kind weinte.
    Die Tage waren eintönig. Vom Unglaublichen belauert, aber eintönig. Die Nächte waren kurz. Ich schlief immer noch nicht mehr als eineinhalb Stunden durch, und die waren nicht erholsam. Ich träumte. Natascha lag auf einem Bett. Ohne die Fesseln hätte man glauben können, sie schliefe. Dann erst fiel die unnatürliche Haltung auf. Und das Gesicht. Sie hatte keins. Ich schreckte auf, saß kerzengerade im Bett, schweißüberströmt. Ich hatte Angst, mich wieder hinzulegen. Auf dem Rücken bekam ich keine Luft, auf der Seite war ich schutzlos, angreifbar vom Unsichtbaren. Ich starrte ins Dunkel, wenn ich die Augen zumachte, lief der Film dort weiter, wo der Albtraum geendet hatte. Ich sehnte mich nach dem Morgen, und wenn er da war, wartete ich auf den Abend.
    Irgendwann dazwischen hatte eine hellsichtige Niederösterreicherin eine Vision. Ich sehe eine weiße Stadt, ließ sie mich wissen, einen Ort, wo alles ganz weiß ist. Athen, dachte ich sofort. Aber ich konnte jetzt nicht nach Athen fahren.
    »Fahrst du mit mir, Michelle und René nach Ibiza, Mama?« Sabina hatte sich von Jürgen getrennt, der Urlaub war schon vorher gebucht gewesen.
    Auf Ibiza sind die Häuser auch weiß. »Ja, sagte ich, aber nicht vierzehn Tage. Vierzehn Tage sind zu lang. Wenn was passiert, und ich bin nicht da, das geht nicht. Ich fahr mit, aber höchstens eine Woche .«
    »Machen Sie’s gut«, sagte die Stewardess. Ihr Lächeln blieb sauber, völlig unbeirrt von dem, was sie uns gerade gewünscht hatte. Dabei hat sie mich mit Namen angeredet, als sie mir das Flugzeug-Menü hingestellt hatte, Huhn mit pastellfarbenen Bandnudeln und Mousse au chocolat mit einer halben, unnatürlich roten, klebrigen Weichsel drauf. Vielleicht hatte sie auch nur in der Passagierliste gesehen, wie ich heiße, und ich war nicht mehr als 15 F für sie. Eine Frau hinter einer Sonnenbrille, deren Gemütszustand nicht so ganz auf eine Party-Insel passte. Damit jedenfalls hatte sie recht.
    Die Hitze schlug uns entgegen nach der Aircondition im Flieger. Sabina und die Kinder gingen vor mir die Gangway hinunter. Das Mädchen vor ihnen lachte, ihr Freund drückte sie an sich, küsste sie, die beiden sahen glücklich aus.
    Ein Bus wartete auf uns, wir waren fast die letzten, die zustiegen. Ich saß am Fenster. Die Gegend zog an mir vorbei, manchmal legte sie sich schief, je nachdem, in welche Richtung der Bus schwankte. Die gemächliche Bewegung machte mich schläfrig. Bist du hier irgendwo, fragte ich Natascha. Der Bus hielt vor dem Hotel.
    »Der Strand von Figueretas«, sagte Sabina, »der Name hat uns gefallen .« Sie sprach nicht weiter, ich fragte nicht. Jeder war auf seine Art

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