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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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einzige Möglichkeit, mich zum Stillstand zu bringen, war, mich lahm zu legen. Die Reise des Helden war zu Ende. Jetzt lag ich da im Krankenhaus Kufstein und konnte mich nicht bewegen. Querschnitt- hallte es mir noch im Ohr. Ich wusste, was damit gemeint war. Seltsamerweise überlegte ich mir aber nicht viel dazu, und schon gar nicht konnte ich die Tragweite begreifen. Hätte mir der Notarzt gesagt, ich habe Scharlach, wäre das nicht viel anders gewesen. Kann auch schlimm ausgehen, wenn man das als Erwachsener kriegt. Nur hatte ich nicht das Gefühl, dass etwas schlimm ausgehen könnte. Zumindest nicht, was meine Gesundheit betraf. Irgendwas hatte mich aufhalten müssen auf meiner Odyssee durch die Schattenwelt, so viel hatte ich instinktiv verstanden. Das Zimmer war hell, aber auch nicht sonderlich freundlich. Außer meinem Bett, einem unansehnlichen Tisch mit zwei Stühlen und einem antiseptischen Bild an der Wand gab es nichts, an dem der Blick hängen bleiben konnte. Kein Fernseher, kein Radio, kein Telefon. Typischer Spitals-Charme, damit man ja nicht vergisst, dass man krank ist. Die Tür ging auf, und ein weißer Kittel erschien. »Guten Morgen, Frau Sirny«, sagte der Primar, »wie geht’s Ihnen denn ?« »War schon einmal besser«, antwortete ich. »Es wird auch wieder besser werden«, beruhigte er mich, »wir haben jetzt die Ergebnisse der Untersuchungen von gestern .« Er stellte sich ans Fußende des Bettes, setzte eine Nickelbrille und einen beschwichtigenden Blick auf. Umständlich fingerte er die Röntgenbilder aus dem riesigen Karton. »Schauen Sie«, sagte er und deutete auf eine Stelle milchigweißer Flecken, aus denen mein Rückgrat herauswuchs. »Hier, der zweite Lendenwirbel ist gebrochen .« »Bin ich jetzt... ?« »Nein, nein, keine Sorge. Die Verletzung ist schwer, aber nicht von Dauer. Wir kriegen Sie schon wieder hin .« Er machte eine kleine Pause, die nichts Gutes bedeuten konnte. »Allerdings muss man das operieren. Und vorher brauchen wir noch weitere Untersuchungen .« Er nahm die Brille wieder ab und schob sie sich in die Brusttasche. »Haben Sie noch Fragen ?« »Ja«, sagte ich, »was ist mit Markus ?« »Ihr Enkel ist wohlauf. Wir haben ihn über Nacht zur Beobachtung hierbehalten, er hatte eine Platzwunde und musste genäht werden. Aber er darf heute schon nach Hause. Ihre Tochter ist unverletzt und Ihr Schwiegersohn hat nur ein Peitschenschlagsyndrom. Alles in allem haben Sie großes Glück gehabt. Normalerweise gehen solche Unfälle anders aus .« Er wartete auf meine Zustimmung, aber ich sagte nichts. Wie hätte ich ihm das alles auch erklären sollen? Er nahm mein Schweigen zur Kenntnis und wandte sich um. »Ich schick Ihnen jetzt die Schwester .« Er ließ die Tür offen. Hab ich schon gern, so was. Ich hätte mich gern gewaschen, wenigstens das Gesicht. Unter dem ausklappbaren Tischchen links neben mir stand meine Tasche, da war mein Schminkzeug drinnen und eine Bürste, alles nur eine Armlänge entfernt. Ich streckte vorsichtig die Hand aus. Ging doch. Ein Rollwagen schob sich ins Zimmer. Chromfarbene Schüsseln, dunkelgrüne Plastiksäcke, ein Besenstiel, dahinter eine Frau in blau-weißer Uniform, kaum größer als ihr Gefährt. Sie wünschte mir einen guten Morgen, an den sie offenbar selber nicht glaubte, und begann mit ihren Aufräumarbeiten. »Würden Sie mir bitte meine Handtasche geben ?« , bat ich. Sie kam näher und hielt inne. »Sagen Sie, wieso haben Sie da Laub im Bett ?« Das war der Punkt, an dem ich meinen zweiten Lendenwirbel vergaß. »Wenn mir einmal einer durch die Haare fahren würde, dann hätte ich den Dreck nicht da drinnen«, herrschte ich sie an und zog mich an dem Trapez über mir hoch. »Ich bin durchs Unterholz geschleppt worden, und keiner findet es der Mühe wert, mir das Gestrüpp vom Kopf zu klauben .« Ich hob meine Beine aus dem Bett. »Und jetzt geh ich duschen .« Ich stand auf und brach zusammen. »Schwester! Doktor !« , rief die Pflegerin und rannte aus dem Zimmer. »Herrgott, Mama! Was ist denn passiert ?« Claudia und Günter stürzten herein und halfen mir wieder ins Bett. »Bitte lassts mich nicht allein«, flehte ich sie an, »ich halt das nicht aus, ich will mich waschen, frisieren und dann nach Wien .« Günter klemmte sich ans Telefon. Mich einfach ins Auto zu packen und von Kufstein nach Hause zu führen, war unmöglich, das leuchtete sogar mir ein. Selbst wenn wir noch ein Auto gehabt hätten. Der erste Gedanke war das

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