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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Rote Kreuz. »Wie viel?« Günters Stimme hatte etwas von einer Sirene. »Zweiundvierzigtausend Schilling?« Er sah uns an, als hätten wir die Summe verlangt. »Danke«, sagte er, so höflich er konnte und legte auf. Nächster Versuch. Samariterbund. Das Ticket nach Wien wurde nicht viel billiger. Neunundzwanzig Tausender. Er wählte die Nummer des ÖAMTC. »Ja, einen Krankentransport von Tirol... ein Wirbelbruch... aha... wir melden uns wieder .« »Was verlangen die ?« , wollte Claudia wissen. »Immer noch neuntausend.« Neuntausend Schilling, dachte ich, wegen ein paar Holländern. Aber es war zu spät, mich über mich selbst zu ärgern. Für Natascha hätte ich alles Geld der Welt ausgegeben. Es läutete in Günters Hose, nur war es nicht sein Klingelton. »Dein Handy«, sagte er und wollte es mir geben, »ich hab es gestern eingesteckt .« Ich winkte ab. »Ich will mit niemandem reden .« Er hob ab. »Apparat Sirny.« Er hörte eine Minute zu, ein paar Jas, ein paar Neins, dann hielt er das Mikrofon zu. »Das ist ein Reporter«, erklärte er uns leise, »er hat was von dem Unfall spitzgekriegt und will ein Interview .« Ich verzog das Gesicht. »Wir könnten ja... « , sagte er. »Nein, blöde Idee.« »Was denn ?« , fragte Claudia. »Ich hab nur überlegt«, sagte Günter. »Vielleicht würde uns die Zeitung helfen. Da hat doch eine damals auch diesen Detektiv angeheuert .« »Pöchhacker«, sagte ich. Manchmal merkte ich mir auch schon alles. »Wenn sie mich nach Wien holen, red ich mit ihm .« Während Günter mit dem Zeitungsmann verhandelte, kam der Oberarzt. »Ich möchte nach Hause«, sagte ich und griff schon wieder nach dem Trapez. Der Arzt sah mir teilnahmslos zu. Vermutlich war er gewöhnt, dass Patienten ihre Gebrechen nicht akzeptieren und mit ihrem Leben weitermachen wollen. Als könnte man einfach aufstehen, den Lendenwirbel zur Reparatur dalassen und in zwei Wochen heil wieder abholen. Irgendwann legt sich die Rebellion und die Obrigkeitshörigkeit dringt durch. Österreicher sind sehr obrigkeitshörig. Kaum hat einer eine Uniform an, werden schon seine Befehle entgegengenommen und ausgeführt. Wenn die Uniform weiß ist und einem Halbgott mit Skalpell gehört, muckt man schon überhaupt nicht mehr auf. Bei mir war das anders. »Wurden Sie mir die Entlassungspapiere ausstellen«, sagte ich. Es war keine Frage. Der Doktor begriff. Seine Augen wurden eine Spur schmäler, als würde er mich durch ein Visier anschauen. Als ihm klar war, dass ich mich nicht in seinem Haus aufschneiden lassen wollte, zog er sich beleidigt in sich zurück. Ahnungsloser Trampel, schien er sich hinter seiner Fassade zu denken, dann soll sie halt heimfahren, nach Wien, zu den Großkopferten, ins Böhler oder sonstwo. Dann stand er wortlos auf und verließ den Raum.

    *

    Der Rettungswagen war neu. Die Sanitäter packten mich auf eine Spezialbahre. Ein Luftkissen, das mir gerade noch vierzig Zentimeter bis zur Wagendecke ließ. Ich leide unter Platzangst, wollte ich sagen, aber dadurch wäre das Auto auch nicht höher geworden. Es roch penetrant nach Neuwagen, spätestens nach dem deutschen Eck wird mir schlecht, dachte ich.
    Einer der Pfleger blieb bei mir hinten im Wagen. Sehr gesprächig war er nicht. Mir war es recht. Bis auf das leichte Schaukeln der Ambulanz lag ich regungslos, das Luftkissen federte die Unebenheiten auf der Straße ab. Das Schmerzmittel in der Infusion lullte mich ein. Ich war auf dem Weg nach Wien, in ein paar Stunden...
    Ich dämmerte leicht weg. Sah zu, was sie heute im Kino auf meinen geschlossenen Lidern zeigten. Zwischen Wachsein und Einschlafen gab es da manchmal beruhigende Bilder. Ein paar helle Kreise begannen zu tanzen, warmes Licht, wie von kleinen Flammen. Dutzende Kerzen flackerten wie in einem zarten Luftzug. Ich stellte die Optik etwas schärfer. Die Lichterlgrotte in Mariazell, dachte ich, und schraubte meine Erinnerung ein paar Windungen zurück. Als Natascha drei war, waren wir zum ersten Mal in der Basilika. Sie stand mit leuchtenden Augen vor den Kerzen. Jede brennt für einen Wunsch, hatte ich ihr erklärt. Dass jemand gesund werden möge, dass jemand wieder lachen lernen würde, dass keinem ein Unheil geschehe oder auch nur, dass eine Prüfung in der Schule gut ausgehen soll. Ich will auch eine anzünden, hat sie gesagt und mit ihren Kinderhänden nach einer Kerze gegriffen. Man muss zahlen, wenn man eine nimmt, sagte ich. Wünsche kosten etwas.
    Die hellen Kreise zerfielen

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