Verzweifelte Jahre
einschießen würde. Männerbekanntschaften war das Stichwort, das er in die Treibjagd gegen mich einbrachte.
Männerbekanntschaften. Fügte sich blendend ins Bild der alleinerziehenden Mutter, frustriert von ihren Beziehungen mit unfähigen Trunkenbolden, flügge geworden, als das Nesthäkchen aus dem Schlimmsten heraußen war. Konnte man ja verstehen, irgendeinen Spaß braucht eine Frau im Leben. Er habe mein Umfeld durchleuchtet, rühmte er sich mit einem Unterton, der sagte, dass er da allein auf weiter Flur der Einzige gewesen sei, der an so etwas gedacht habe. Cleverer als die Polizei. Und wieder musste ich mich rechtfertigen.
Und es genügte nicht, zu sagen, ich habe keine Männerbekanntschaften, und wenn, ginge mein Sexualleben niemanden was an. Mein Sexualleben war auf einmal von höchstem Interesse. Durch eine andere aus der Luft gegriffene Behauptung. Eine Frau, die ihre Tochter missbraucht, muss man in ihre Geschlechtsteile zerlegen.
Seltsam war nur, dass keiner Namen nennen konnte. Einen Liebhaber hatte ich geerbt, weil er Martin Wabl im Weg gestanden war. Und wer waren die anderen? Wo hatte ich meine OneNight-Stands , meine Liebschaften, meine Verhältnisse? Wen hatte ich aus der Imbissstube ums Eck in mein Bett gezerrt? Wen habe ich nach dem Elternsprechtag in einem stillen Winkel am Schulhof vernascht? Wem habe ich das Essen auf Rädern hingestellt und mich als Nachspeise serviert? Und wie sexy ist man in einem Gipskorsett? Walter Pöchhacker hat mehr gewusst. Sollten die Leute es doch glauben.
Ich schwebte zwischen Resignation und Aufbegehren. In der Öffentlichkeit war ich die Unfrau, zu Hause die Mutter, die da draußen keiner mehr in mir sah. Die ihre Familie abschotten und ihre Kinder beschützen wollte. Ich spielte die Starke. Aber ich hatte längst keine Kraft mehr. Und niemandem zum Reden.
*
Das Zimmer der Psychologin in der Magistratsabteilung elf wirkte wie ein Wohnzimmer. Ein gemütliches Büro, ein hübscher Schreibtisch, ein paar Pflanzen, im Nebenraum eine Couch. Die Frau war nicht weniger gemütlich. Um die vierzig, etwas mollig, ein Gemüt wie ein Golden Retriever.
»Haben Sie Ihre Atemübungen gemacht, wie ich es Ihnen gezeigt habe ?« , fragte sie mich.
Bei meinem vorigen Besuch hatte sie mich in die Grundzüge des Yoga eingeweiht, damit ich besser schlafen konnte. »Schon«, sagte ich, »genutzt hat’s nicht so viel, aber ein bisschen entspannt .« Seit ich regelmäßig einmal die Woche hier meine Sorgen ablud, war ich tatsächlich etwas ruhiger. Der Brief, in dem man mir Hilfe anbot, war zur rechten Zeit gekommen. Ich hatte mir anfangs nicht so viel versprochen von einer staatlichen Stelle, aber das Wiener Amt für Jugend und Familie war genau das, was ich gebraucht hatte. Ich hatte meine Zweifel schnell zurückgenommen. »Wie geht’s denn mit der Physiotherapie ?« , erkundigte sich die Dame. »Das läuft gut, ich bin schon fast wieder die Alte .« Sie lächelte. »Und die Träume?« »Wie immer eigentlich. Ich schlafe meine eineinhalb Stunden, träume meistens von Natascha. Neu ist, dass ich in Fortsetzungen träume. Manchmal rede ich mit ihr. Ein paar Mal habe ich sogar ihre Hand erwischt und sie zu mir ziehen wollen, aber sie ist mir entglitten. Früher hat mich das erschreckt, aber jetzt kenn ich’s schon. Es hat nichts zu bedeuten .« Sie schien zufrieden mit mir. »Haben Sie heute etwas Bestimmtes auf dem Herzen ?« Ich zögerte kurz und sah auf meine Tasche, die neben mir auf dem Boden stand. »Haben Sie was mitgebracht ?« »Ja, wenn Sie es schon erwähnen. Ich habe einen Brief gekriegt .« Sie wartete auf nähere Erklärungen. »Eine Frau schreibt mir. Sie hat ihren Sohn verloren. Er war bei einem Freund, die hatten eine Waffe zu Hause, die Buben haben damit gespielt, und ihr Sohn ist erschossen worden .« »Was beschäftigt Sie daran ?« »Die Mutter hat das jetzt, nach zwei Jahren, verarbeitet. Sie hat mir ein Gespräch angeboten. Wir sollten uns zusammensetzen, schreibt sie, wegen der Natascha, sie würde mir gern erzählen, wie sie diesen furchtbaren Verlust gemeistert hat. Aber ich will mich eigentlich nicht mit ihr treffen, bei ihr geht’s um ganz was anderes. Ihr Sohn ist tot. Das ist ja nicht vergleichbar .« »Ich finde das nicht so schlecht«, sagte mein Gegenüber. Es könnte mir helfen, abzuschließen. Mit der ganzen Geschichte. Mit Natascha. »Ich sag Ihnen was, Frau Sirny, am besten, Sie kaufen ein Grab .« Auf einmal war der Raum um mich nicht
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