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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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mehr gemütlich. Ich schob meinen Sessel zurück, stand auf, nahm meine Handtasche, drehte mich um und ging zur Tür hinaus. Irgendwie kam ich hinunter auf die Straße. Es regnete. Ich fand mein Auto, sperrte auf und setzte mich hinein. Ich sackte über dem Lenkrad zusammen und brach in Tränen aus. Kaufen Sie ein Grab. Natascha ist ohnedies schon tot. Kaufen Sie ein Grab. Der Himmel weint um mein Kind. Kaufen Sie ein Grab.

10

    Ich ließ mich in den Weißen Hof einweisen. Mit der Rehabilitationsklinik hatte ich schon vor Monaten Kontakt gehabt. Damals waren sieben Wochen Ruhe undenkbar gewesen. Jetzt brauchte ich Abstand, und der Tapetenwechsel war auch ein geistiger Urlaub. Ich wollte abschalten. Klosterneuburg war ein guter Ort dafür. Gleich außerhalb von Wien, an der Donau, wo man sich gern ein Haus kaufte, sofern man Geld hatte, und trotzdem in zwanzig Minuten in der Innenstadt war. Die Klinik war nicht ganz so nobel, eine staatliche Kuranstalt. Gegen die Betreuung gab es nichts zu sagen, nur das Essen schmeckte nach Unfallversicherung. Einer der anderen Gäste sah das genauso. Wir beschlossen, uns ein Gasthaus im Ort zu suchen. »Ja, was machst denn du da ?« Die Wirtin breitete die Arme aus. »Brigitta!« »So klein ist die Welt«, sagte ich. Sie hatte früher in Kaisermühlen ein Lebensmittelgeschäft gehabt. Wir waren Branchenkolleginnen gewesen, im Lebensmittelhandel laufen sich irgendwann alle über den Weg. »Was ist nur aus den guten alten Greißlern geworden«, sagte sie mit einer gewissen Wehmut. »Alle weg, gell? Die kleinen Geschäfte, verdrängt von den Supermarktketten .« »Und von den Tankstellen«, sagte sie. »Ist schnell gegangen, dieses Greißlersterben .« »Kannst du dich noch erinnern, wie wir von der Kammer aus Probekäufe gemacht haben ?« Sie nickte. »Wir sind draufgekommen, dass sie die Zigaretten dann in den Tankstellen unter der Budel verkauft haben .« »Ja«, sagte sie, »aber das hat die Kleinunternehmer auch nimmer gerettet .« Sie machte eine kurze Pause. »Ich wollt dich übrigens schon anrufen, Brigitta. Warte, ich setz mich gleich zu euch. Die da drüben«, sie deutete auf einen Tisch weiter hinten, »warten schon auf ihren Schweinsbraten .« Wir bestellten einen Salat bei der Kellnerin. Wir hatten noch nicht einmal die Getränke, da rückte sich die Wirtin schon einen Sessel heran. »Wegen der Natascha«, sagte sie, als wüsste man damit schon alles. Instinktiv lehnte ich mich zurück. »Ich beschäftige mich nämlich mit Tonbandstimmen .« Im ersten Moment überlegte ich, wie ich das Gespräch auf ein anderes Thema bringen könnte. Mit meinen Ausflügen ins Jenseits hatte ich abgeschlossen, ich wollte nicht wieder damit anfangen. Aber sie war schon mitten im Erklären. Seit Jahren experimentiere sie damit herum, es handele sich dabei um eine Wissenschaft, keine Spinnerei. Man brauche auch gar nicht so viel darüber zu wissen, man muss es ausprobieren. »Wenn man es einmal gehört hat«, sagte sie, »spricht es für sich selbst, es ist ja nicht gesagt, dass wir wirklich zu Natascha vordringen, aber ausgeschlossen ist es nicht .« Sie wartete auf meine Reaktion. »Na, gut«, sagte ich. »Versuchen wir’s .« »Nächste Woche, weil heute hab ich zu viel Betrieb. Am Dienstag, hm? Da haben wir Ruhetag .« Die paar Tage vergingen schnell. Ich hatte zu tun, mit den Anwendungen, die man mir verordnet hatte, der Gymnastik, mein Auto musste in die Werkstatt. Über all dem hätte ich den Termin fast vergessen. »Soll ich dich wieder ins Gasthaus bringen ?« , fragte mein Begleiter, »du hast ja keinen Wagen.« Ich nahm dankend an. Er setzte mich vor dem Lokal ab. »In zwei Stunden hol ich dich wieder ab«, sagte er, »das wird ja reichen .« Die Wirtin hatte schon alles vorbereitet. Wir setzten uns in die leere Gaststube, mit dem Rücken zur Wand. Gegenüber eine Art Veranda, schöne alte Holzfenster, alter Holzboden, alte Holztische. Ohne Gäste sah es ein bisschen gespenstisch aus. Sie legte eine neue Kassette in den Rekorder und drückte auf die Aufnahmetaste. Ein paar Minuten verstrichen. Nichts passierte. »Ich... « Sie legte den Zeigefinger auf den Mund. Ich verhielt mich ruhig. Nichts passierte. Ich weiß nicht, wie lange wir so dasaßen. Im Raum war es ganz still. Kein Geräusch zu hören. Das Band drehte sich weiter. Zuerst horchte ich angestrengt, allmählich entspannte ich mich. Leere Kilometer, macht ja nichts. Es knackte hinter mir. Das alte Holz, dachte ich. Es

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