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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Zeit, den ganzen Familienstammbaum auf und ab recherchieren, Querverbindungen suchen, Verflechtungen ausforschen, wer mit wem was ausgeheckt haben könnte, und dann nimmt er ausgerechnet einen Verwandten, der seit dreißig Jahren nicht mehr mein Leben gekreuzt hat. Noch dazu, sagte Heinrich, stehe ich jetzt nicht nur da wie ein Mittäter, sondern auch noch wie ein Trottel. Weil so was darf man in dem Land. Man braucht keine Beweise, und Unschuldsvermutung ist nur ein Wort. Man darf der Polizei einen Hinweis geben, das ist rechtlich gesehen kein Rufmord und schon gar nicht strafbar. So steht’s im Zivilrecht. Und jetzt, sagt Heinrich, habe ich den Prozess verloren und zahl auch noch die Anwaltskosten. Bitte passen S’ mir auf mit dem Wabl. Ich passte nicht genug auf. Immer wieder rief er mich an. Ich hätte sofort auflegen sollen, aber er überrumpelte mich mit seiner Sonnenblumenstimme und redete über mich drüber. Und dann erzählte er mir von dem Paket. Da war ein Paket oder was, das hat mir wer zugeschickt oder wie, da sind Schlüssel drin oder so, das hat mit der Natascha zu tun. Und warum? Weil’s wahr ist. Ich traf mich mit ihm, bei meinem Anwalt. Wabl saß vor uns, als hätte er den Schlüssel zu Nataschas Versteck. Er deutete auf sein Sakko und sagte, da sind sie drin. Er griff mit der rechten Hand in die Tasche, ließ sie klimpern, nahm sie heraus, legte sie auf den Tisch und lächelte uns an. Er griff mit der linken Hand zu den Schlüsseln, ließ sie klimpern, nahm sie an sich und steckte sie wieder ein. Das Spiel spielten wir noch ein paar Mal. Ich weiß, ich weiß, was du nicht weißt. Schön, sagte der Anwalt und sah ihn völlig unbeeindruckt an. Und in welches Schloss sollen die jetzt passen? Wabl spielte weiter, Schlüssel aus der Tasche, Schlüssel auf den Tisch, Schlüssel wieder in die Tasche. Der Anwalt reagierte schneller als ich und nahm ihm die Schlüssel ab. Er notierte sich die Zahlenkombination und beendete den Termin. Er ging der Sache nach. Ein paar Tage später rief er mich an. Der Schlüssel gehörte einem von Wabls Bekannten. Einem Fraktionsmitglied. Es war der Schlüssel zu dessen Gartenhaus. Ab da habe ich mich vor Martin Wabl gefürchtet.

*

    Die anderen mussten sich vor mir fürchten. Alle, die Zeitungen lasen. Die Vorwürfe waren haarsträubend. Prügelmutter, Kinderschänderin, die Frau, die vielleicht ihre Tochter entführt hat. Man verwendete eine Menge Konjunktive, aber wer wollte, konnte alles glauben. Monster Sirny, Zeitungen lügen nicht. Und es war kein Ende abzusehen.
    Sie veröffentlichten die »Kinderpornobilder«. Fotos von Natascha, als sie noch ganz klein war. Ohne was an war sie durch die Wohnung gelaufen, hatte meine Reitstiefel entdeckt und sich einen davon angezogen. Das ist herzig, hatte Claudia gesagt, und den Fotoapparat geholt. Natascha hat in die Kamera gestrahlt und weiter posiert. Eine nackte Dreijährige auf einem Schaukelpferd im Wohnzimmer. Bilder fürs Familienalbum. Plötzlich in einem Wochenmagazin, sichtbar für alle. So geht’s zu im Hause Kampusch. Kinderporno, schon Jahre vor der Entführung.
    Ich wusste nicht einmal, wie das Magazin zu den Fotos gekommen war. Vielleicht über die Polizei, vielleicht hat sie ein Reporter aus der Wohnung mitgehen lassen, vielleicht hab ich sie selber wem gegeben. Egal, jetzt hatten ein paar harmlose Schnappschüsse eine andere Schleife bekommen, und fertig war das Geschenk für die Medien.
    Es passte ja alles so wunderbar zusammen. Irgendeiner behauptet was, immerhin Familienrichter früher, kein Rauch ohne Feuer, jetzt die Fotos. Irgendwas musste da gewaltig schieflaufen in dieser Familie. Je mehr man darüber nachdenkt, desto wahrer wird’s. Das ist das Prinzip von Verschwörungstheorien. Such dir ein paar neue Puzzleteile, drück sie etwas brutaler zwischen die anderen Teilchen und schau dir das Bild an. Ergibt auch einen Sinn. Es zeigte mich, als Zerrbild meiner selbst. Die Ohnmacht der ersten Tage stieg wieder auf.
    Im Gegensatz zu damals versuchte ich wenigstens, mich zu wehren. Mein Anwalt reichte eine Unterlassungsklage gegen Martin Wabl ein. Das Gericht entschied für mich. Ein Problem weniger, dachte ich, etwas voreilig. Das nächste übersteigerte Ego meldete sich zu Wort. Walter Pöchhacker. Jener Privatdetektiv, der zuerst für eine Tageszeitung ermittelte und dann auf eigene Faust. Je mehr Spürhunde, desto besser, hatte ich mir gedacht, und nicht damit gerechnet, dass auch er sich auf mich

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