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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Deal ist: Du machst jetzt mit mir ein bissel Telefonsex, dann sag ich dir, wo deine Tochter ist .« »Machen wir’s umgekehrt. Sie sagen mir gleich, was Sie wissen, und dann reden wir über den Telefonsex. Das sind die gleichen Chancen .« »Pass auf, du Dreckstück, so funktioniert das nicht«, schrie er plötzlich. »Dann lassen wir’s«, sagte ich und drückte auf die Gabel. Das war der letzte Anruf in der Nacht. Bis halb acht Uhr früh war Funkstille. Beim ersten Läuten zuckte ich zusammen, offenbar war ich doch eingenickt. Eine Frau war am Apparat, man hörte gleich, dass sie geweint hatte. Vor Kurzem, erzählte sie, hätte sie ihre Tochter verloren. Sie sei überfallen worden, fünfzehn wäre sie demnächst geworden. Ein paar Minuten brachte sie kein Wort heraus, ich hörte sie schluchzen. Wegen fünfzig Schilling, sagte sie immer wieder, stellen Sie sich das vor. Fünfzig Schilling kostet ein Menschenleben.

11

    Nikolaus Tsekas kam mit dem Fahrrad. Es war nicht immer ein Wetter dafür und der Weg vom fünften Bezirk zu mir heraus kein Katzensprung. Es mache ihm nichts aus, sagte er, es sei ein gutes Training, und zu mehr komme er nicht derzeit. War auch nicht nötig, er war schlank, man sah ihm an, dass er viel in Bewegung war. Er sei der Typ fürs Praktische, hatte er mir beim ersten Treffen erklärt. Die Organisation namens Neustart, für die er arbeitete, war eine Opferhilfe, die sich um Leute kümmerte, die überfallen, vergewaltigt, verletzt, missbraucht, betrogen oder sonst wie körperlich und seelisch misshandelt worden waren. Und man betreute auch ihre Angehörigen. Tsekas war Sozialarbeiter. Im Gegensatz zu Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern hörte er nicht nur zu und stellte Fragen. Von ihm bekam man auch Antworten und Ratschläge. Ich gehe mit Ihnen zu den Ämtern, sagte er, ich helfe Ihnen, alle möglichen Formalitäten zu erledigen, und auch sonst bin ich immer für Sie da. Den Mann hatte der Himmel geschickt. Ich hatte schon lange aufgehört, alles mit meiner Familie zu besprechen. Zuerst, weil ich sie nicht über Gebühr aufregen wollte. Inzwischen kam ich mir auch noch lästig vor. Es gab ja so wenig Neues zu sagen. Wo wird sie sein? Wie wird’s ihr gehen? Was macht sie mit? Lauter hässliche Fragezeichen, nirgends eine Erklärung. Und die Zeitungen hatten zuletzt auch nicht gerade den Stoff für freundliche Tischgespräche geliefert. Habt ihr gelesen ?, heute war ich wieder die Prügelmutter, als Beilage zu Lasagne, kann ich bitte den Parmesan haben? Männerbekanntschaften zum Drüberstreuen über den Kaiserschmarren für die Enkel. Wir redeten ständig über Natascha, aber anders. Am liebsten begannen die Sätze mit: Kannst du dich noch erinnern ... ? Meine Ängste und meine Albträume brachte ich ebenso wenig zur Sprache wie meine Rastlosigkeit und meine Beklemmungen. Man soll nicht das Kind seiner Kinder werden, dachte ich oft. Mit Freunden war es noch schwieriger. Sie hatten alle angerufen, in der ersten Zeit. Sie hatten sich weiterhin erkundigt, ob ich irgendwas brauchte. Sie hatten immer ein Nein, danke, gehört. Die Monate waren vergangen, ihre Kinder größer geworden. So groß wie Natascha jetzt sein musste. Nur hatten die Eltern im Gegensatz zu mir etwas darüber zu erzählen. Teenagerprobleme, Schulanekdoten, sie kannten die Witze, über die ihre Kinder lachten, die Sprüche, die sie klopften, die Modewörter, die sie benutzten. Unter normalen Umständen hätten wir uns über die Launen der Pubertät unterhalten. Aber meine Umstände waren nicht normal. Und es war ausgesprochen anstrengend, sämtliche heiklen Themen zu umgehen, ich sah es an ihren Gesichtern. Wenn sie von verhauten Schularbeiten, einem Streit mit der besten Freundin oder der Sauerei bei den Geburtstagsfeiern anfangen wollten, und ihnen die Geschichte schon auf der Zunge lag, bevor sie sie im letzten Moment hinunterwürgten. Wir trafen uns zusehends seltener. Bei Nikolaus Tsekas hatte ich keine Scheu. Ihm erzählte ich alles. Von den Bügelbergen, die schon wieder vierzehn Tage im Korb liegen geblieben waren, bis zu den dunkelsten Stunden meiner Verzweiflung. Er wusch nicht meine Wäsche, aber er trocknete meine Tränen. »Wie lauft denn Ihr Alltag jetzt so ab ?« , wollte er als Erstes wissen. Es war einer der Tage, an denen ich nicht aufhören konnte zu reden, und ich ließ nichts aus. Ich stehe in der Früh auf und weiß eigentlich nicht, warum. Dann gehe ich ins Bad, dusche mich, putze mir die

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