Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
Vom Netzwerk:
war, bloß noch stupide Talkshows anschaute oder einen Musiksender einstellte. Keine Gefahr, war die Erklärung. Da plapperten Leute über ihre Lifestyle-Kümmernisse, schlugen sich mit der Frage Piercing oder nicht herum oder wollten ihre Diät-Methoden mit der Welt teilen. Alles nicht meine Sorgen. Analytisch überdachte ich, was mich an Filmen von Rosamunde Pilcher so abstieß, abgesehen vom phänomenalen Kitsch. Die Idylle machte mich fertig. Diese absehbaren Happy Ends. Bulle von Tölz, immer geht alles gut aus, immer hat alles eine Auflösung. Bei mir gab es keine Auflösung. Die Sehnsucht nach einem Leben, wie es jeder andere hat, war stark. Ich versuchte, so zu tun, als unterscheide mich nichts von der übrigen Menschheit. Ich scheiterte täglich. Manchmal, wenn ich zufällig an einer Boutique vorbeikam, sah ich in die Auslage und zwang mich, mir einen Fetzen auszusuchen. Was würde ich mir kaufen, wenn ich noch Interesse an Mode hätte? Ich war gelernte Schneiderin, seit der Schule war ich gut angezogen, nicht nach den jüngsten Trends, dafür bin ich zu eigensinnig, aber doch so, dass ich nicht daherkomme, als sei ich von vorgestern. Ich schaute durchs Glas auf die Kleider, die sie den Schaufensterpuppen umgehängt hatten, dann ging ich weiter. Zwanzig Meter später hätte ich nicht mehr sagen können, ob die Hose, die ich gerade gesehen hatte, gelb oder grün gewesen war. Genäht hatte ich mir auch nichts mehr. Von Zeit zu Zeit brachten meine Töchter eine Hose oder einen Rock mit, die man ändern musste. Klar mach ich das, sagte ich dann, legte die Sachen ins andere Zimmer und vergaß sie. Aber Hosen kürzen sich nicht von allein. Wenn die Mädchen drei Wochen später einmal vorsichtig anfragten, ob sie die Sachen wieder mitnehmen könnten, setzte ich mich dann doch hin. »Niemand wird Ihnen das vorwerfen«, beruhigte mich Herr Tsekas und griff nach einer Zeitung, die auf einem Stoß neben dem Esstisch lag. »Auch schon vier Wochen alt«, sagte er, nachdem er aufs Datum geschaut hatte, »sogar schon zu spät für den Fisch von gestern .« Ich verstand nicht. »Zeitung von gestern, nur noch dazu gut, alten Fisch einzuwickeln. So ein alter Journalistenspruch.« Er legte das Blatt wieder zurück. »Lesen Sie, was drin steht ?« »Ja, schon, manchmal«, sagte ich. »Mein Schwiegersohn bringt sie nach wie vor mit. Aber ich kann mir nichts davon merken .« »Schreiben eh nichts Gescheites«, sagte er. »Ach ja, Herr Tsekas«, sagte ich, es war mir grade eingefallen, was ich noch mit ihm besprechen wollte. »Ich brauche ein neues Auto .« »Ich fahre mit dem Rad«, sagte er. »Ihres hätte ich Ihnen eh nicht weggenommen. Aber meines wird demnächst hin, und ich studiere seit ein paar Tagen, was ich mir für eins kaufen soll. Es muss rot sein, das weiß ich .« »Ist das Ihre Lieblingsfarbe ?« »Ja, auch. Aber darum geht’s mir nicht. Das jetzige ist rot, und ich hab mir gedacht, wenn die Natascha schaut, dann auf ein rotes Auto .« »Guter Gedanke«, sagte er. »Gehen wir ein rotes Auto kaufen. Wie haben Sie sich wegen des Schlosses entschieden ?« Ich hatte erwähnt, dass die Polizei mir geraten hatte, mein Schloss an der Wohnungstür auszuwechseln. Damit mir nichts passiert. »Ich tausche es nicht aus«, sagte ich. »Erstens hat die Natascha den Schlüssel. Wenn sie kommt, und ich bin nicht zu Hause, kann sie herein. Zweitens, wer soll kommen? Wenn es der ist, der sie entführt hat, der soll mich ruhig umbringen .« »Dann sind wir fertig für heute«, sagte Herr Tsekas. »Oder?« »Noch nicht ganz«, sagte ich. »Ich habe noch eine Neuigkeit .«

*

    Suchen Sie einen neuen Job? Flexible Arbeitszeiten, interessante Tätigkeit im Versicherungswesen, überdurchschnittliches Einkommen. Chiffre: 84646.
    Ich hatte auf die Annonce geantwortet. Essen auf Rädern war gut, aber langsam brauchte ich Abwechslung. Die Buchhaltung für die Firma eines alten Freundes, die ich seit Kurzem nebenbei noch machte, beschäftigte wenigstens wieder einmal ein paar andere Gehirnwindungen. Ich war froh gewesen, dass er da an mich gedacht hatte, er war einer der Freunde, auf die ich mich seit zwanzig Jahren verlassen konnte. Der Job war in zwei, drei Stunden pro Woche erledigt und daher auch nicht abendfüllend, aber es half. Nur mit Essen durch Wien zu fahren, war etwas trist geworden. Und aus dem Haus musste ich, mir fiel sonst die Decke auf den Kopf. Herr Tsekas hatte die Neuigkeit mit der Annonce großartig gefunden. Umgehend

Weitere Kostenlose Bücher