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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Natascha abschirmen. Wenn Sie einverstanden sind, schlage ich vor, wir nehmen sie ihn Schutzgewahrsam .« »Was bedeutet das ?« Die Angst flackert wieder auf. »Das bedeutet, dass Natascha die Nacht woanders verbringt, eine Polizistin wird bei ihr sein. An einem sicheren Ort, den keiner kennt.« Ich will Natascha bei mir haben, aber ich kann sie nicht schützen. Irgendwo da draußen schleicht der Irre herum, der sie wieder in seine Gewalt bringen will, vielleicht bewaffnet. Ich habe keine Ahnung, wie er aussieht, was soll ich gegen den ausrichten? Ich stimme zu. Ein Kriminalpsychologe stellt sich zu uns und nickt. »Man muss behutsam mit ihr umgehen«, sagt er. Da braucht man eine Polizistin dazu, schießt es mir durch den Kopf, ich bin ja nicht behutsam, ich bin nur die Mutter. Ich schaue zu Natascha hinüber. Sie redet ruhig mit einem Beamten, sie zittert immer noch. Nach außen wirkt sie gefasst, aber ich weiß, wie es in ihr zugeht. Sie ist wie ich, für die anderen die Kühle, und dann brechen wir zusammen, wenn wir allein sind. Sie will sich keine Blöße geben vor den vielen Leuten. Sie ist noch etwas bleicher als vorher. Und es ist keine Blässe, die gerade von einer Kreislaufschwäche kommt. Es ist so ein Kalkweiß, das nur über lange Zeit ohne Sonne entsteht. Das Einfamilienhaus in der Heinestraße in Strasshof ist von Einsatzkräften umstellt. Sie tragen schwarze Kevlar-Westen, am Rücken der Schriftzug Polizei. Die Männer geben Anweisung in Funkgeräte, ihre Glock-Pistolen stecken im Halfter an der Hüfte. Sie bilden einen Kordon um das Haus. Sie treten die Tür auf. Das Wohnzimmer wirkt, als wäre gerade wer auf Urlaub. Alles ordentlich, alles auf seinem Platz. Die biedere Umgebung eines Menschen, der im Leben noch keine Parkstrafe bekommen hat. Die Männer durchsuchen jeden Winkel. Sie finden nichts Verdächtiges. In der Garage entdecken sie eine Montagegrube. Sie gehen hinunter und stehen vor einer Tresortüre. Sie lässt sich öffnen. Dahinter ein Raum. Einen Meter einundachtzig breit, zwei Meter achtundsiebzig lang, zwei Meter siebenunddreißig hoch. Nirgends ein Fenster. Auf der linken Seite neben dem Eingang ein Hochbett. Gegenüber ein schmaler Schreibtisch, darüber ein kleiner Fernseher, Regale an den Wänden. Ein Radio. Bücher. Videos. Über dem Sessel liegen abgetragene Kleidungsstücke. In der Ecke rechts neben dem Eingang eine Toilette und eine Edelstahlspüle mit zwei Waschbecken. In diesem Verlies ist Natascha aufgewachsen.

*

    »Man weiß ja nicht, was sie alles mitgemacht hat«, sagt der Kriminalpsychologe, »in welchem Zustand sie ist .«
    Im Nebenraum werden die Stimmen lauter. Ein Reporter versucht, sich an den Beamten an der Tür vorbeizudrängen, seine Kamera schon im Anschlag. Ein Polizist hält eine Hand über sein Objektiv und wirft ihn hinaus.
    »Nataschas Papa ist gleich mit einem eigenen Fotografen gekommen«, sagt Claudia, die sich neben mich gestellt hat. »Der ist schnell hinausgeflogen, hättest du sehen sollen .«
    »Presse brauchen wir nicht auch noch«, sage ich. »Sind eh schon genug Leute hier. Allerdings, so ein Foto... « Ich hole mein Handy aus der Handtasche. »... die Sabina freut sich ja auch, sie zu sehen .« Ich drücke auf den Kameramodus und halte die Linse Richtung Natascha. Klick.
    »Was soll das ?« , fährt mich einer der Kriminalbeamten an, als wäre ich ein Paparazzo. »Geben S’ das sofort her .« Er will mir das Telefon abnehmen.
    »Moment einmal«, sage ich, »ich will meine Tochter fotografieren .« »Nix wird fotografiert«, schreit er mich an, »das ist verboten«. »Hören Sie, das ist mein Kind. Und meine andere Tochter, die ist mit den Enkeln am Bauernhof, die will auch sehen, wie ihre Schwester ausschaut.« »Sie dürfen das trotzdem nicht«, sagt der Polizist. Zumindest lässt er mir das Handy. Die Männer, die mich aus Wienerbruck abgeholt haben, kommen dazwischen. »Wir müssen langsam, Frau Sirny. Wir haben noch eine ziemliche Fahrt vor uns .« »Ja, und ?« , sage ich. »Dann fahren wir halt später, ich lass doch meine Tochter nicht allein .« »Das haben wir ja schon geklärt«, mischt sich der ältere Beamte von vorhin ein. »Sie haben dem Schutzgewahrsam für Natascha zugestimmt .« »Schon, aber jetzt ist sie noch da. Wir haben gerade einmal ein paar Worte reden können bei dem Trubel .« »Okay«, sagt er und schaut auf die Uhr. »Fünf Minuten noch, es ist fast neun .«

*

    Wird auch schon wieder früher finster, denkt der

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