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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Mintgrün, das Rosa passt nicht mehr .« Ich stelle den Kaffee ab, ohne zu trinken. Es ist kurz vor eins.

*

    »Da ist ja das Handy .«
    Ich gehe die paar Schritte zum Tisch. Drei Anrufe in Abwesenheit. Zwei der Nummern sagen mir nichts. Üblicherweise rufe ich zurück. Jetzt nicht. In der Kochnische des kleinen Appartements mache ich Kaffee. Die Pension auf dem Bauernhof in Wienerbruck ist eine Art zweites Zuhause.
    »Wie war’s in der Lichterlgrotte ?« , fragen die Buben. Markus und René waren daheim geblieben. »Wir waren gar nicht...« Weiter komme ich nicht. Das Handy läutet. Ich hebe ab. »Grüß Sie, Frau Sirny. Lange nicht gehört. Wie geht’s denn ?« Ich habe keinen Sinn für Floskeln. Die Journalistin, die da in der Leitung ist, ruft nicht aus Höflichkeit an. »Ist was los? Irgendwas Neues? Mit der Nastascha?« »Na ja... ich weiß nicht, ob ich’s Ihnen sagen soll... ich will nicht, dass Sie mir nachher bös sind, wenn’s nicht stimmt...« »Was nicht stimmt ?« Mein Ton wird schärfer.
    »In Deutsch-Wagram ist ein junges Mädchen aufgetaucht. Die sagt, sie ist die Natascha .« Ich lege auf. Sabina und die fünf Kinder schauen mich an. Es ist etwas passiert. Sie lesen es in meinem Gesicht. Alle reden durcheinander. Ich bin schon wieder am Telefon. Rufe eine Arbeitskollegin an. Brauche die Nummer der Polizei in Deutsch-Wagram. Zwanzig Minuten versuche ich die Verbindung zu kriegen. Es gelingt mir nicht. Ein Anruf kommt herein. »Grüß Sie, Frau Sirny. Fischer, Sicherheitsbüro. Lange nicht gehört... « »Ist sie es ?« »Zu neunundneunzig Prozent.« Es ist Nachmittag. Kurz nach fünf. »Wann kann ich sie sehen .« »Ich rufe Sie zurück .« Die Kinder drängen sich um mich. »Wann können wir sie sehen ?« , fragt Sabina. »Er ruft noch einmal an, er muss noch... « Weiter komme ich nicht. Die Wirtin stürzt ins Zimmer. »Das Fernsehen ist unten !« »Die Natascha ist aufgetaucht«, rufen die Kinder. »Können Sie uns die Reporter vom Hals halten ?« , frage ich die Wirtin. Sie läuft schon wieder hinaus. Ich sitze wie erstarrt in einem Ameisenhaufen. Alle reden durcheinander. Alle schwirren herum. Keiner kann fassen, was gerade passiert ist. Wieder das Handy. »Frau Sirny, wir holen Sie .« Sie. Ist. Wieder. Da. Ich sitze stumm auf meinem Sessel. In mir eine Explosion. Freude. Befreiung. Erlösung. Eineinhalb Stunden braucht die Polizei. Wir hören den Wagen in den Hof fahren, Sabina und ich rennen hinunter. Blitzlichter. Die Reporter vom ORF Niederösterreich wollen mich aufhalten. Sabina sagt ein paar Worte. Ich steige in den Fond des grauen VW . Der Fahrer gibt Gas. Die beiden anderen Beamten wollen mich begrüßen. Sie haben keine Chance. »Bitte, sagen Sie mir. Wo ist sie? Haben Sie sie gesehen? Wie schaut sie aus? Geht es ihr gut ?« »Wir wissen selber nicht viel .« »Aber es geht ihr doch gut, oder? Ich meine, irgendwer muss Ihnen ja was gesagt haben... mehr als ich weiß... ich kann mir gar nicht vorstellen... wissen Sie, wir sind da auf Urlaub... wie jedes Jahr, weil wir immer eine Kerze anzünden in der Lichterlgrotte in Mariazell... die Kleine sagt... also meine Enkelin, die sagt plötzlich, was machen wir, wenn die Natascha wiederkommt... nicht, dass sie wiederkommt, das haben wir eh immer gewusst... was machen wir eigentlich dann, fragt sie... wir haben noch geredet wegen dem Zimmer, das wir ihr neu ausmalen... das war rosa vorher, so für ein kleines Mädchen halt, das passt ja jetzt nicht mehr... deswegen haben wir gesagt, wir machen es in einem hellen Grün... aber vielleicht gefällt ihr das gar nicht... jetzt können wir sie ja fragen... hat sie schon irgendwas gesagt?« »Sie werden sie eh bald fragen können .« »Ich kann das noch gar nicht glauben... die Natascha... die Natascha ist wieder da... ist sie eh nicht verletzt? Sieht man was im Gesicht? Hat sie irgendwo Narben? Ich weiß, Sie können noch nichts sagen... entschuldigen Sie, dass ich so viel rede... aber Sie können sich nicht vorstellen... so viele Jahre... ich meine, das Kind ist jetzt achtzehn... werde ich sie überhaupt erkennen? Na sicher werde ich sie erkennen... ich hab mich ja nicht so verändert... mein Gott, wenn ich nur dran denke... meine Tochter... ich hab nie dran gezweifelt, dass sie zurück kommt... so oft hab ich mir den Augenblick vorgestellt... und jetzt bin ich so nervös, dass ich... wo sind wir denn schon ?« »Gleich über den Annaberg .« »Ich kann gar nicht ruhig sitzen... darf ich das

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