Veyron Swift und das Juwel des Feuers
beobachtete (offenbar als einziger), wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Er freute sich für die beiden, aber war Xenia nicht eigentlich eine gefährliche Terroristin und Dimitri nicht ein überzeugter Pazifist, einer von den Guten? Was bedeutete das, wenn sie sich derart annäherten? Er suchte Veyrons Rat, doch der hatte die Augen geschlossen und schien von alldem nichts mitzubekommen.
Nach einer Weile wurde Fizzler müde und schlief endlich ein. Nun war es vollständig still im Stall. Tom sah sich alle Anwesenden an. Überall erkannte er Erleichterung und Entspannung in den Gesichtern. Abgesehen von Alec, dem die Verbrüderung seiner Leute mit den Gefangenen überhaupt nicht gefiel. Aber er konnte jetzt nichts mehr dagegen unternehmen – außer sie allesamt umbringen. Vielleicht wollte er das sogar, Tom würde es ihm jedenfalls zutrauen.
Natürlich war da noch Jessica Reed. Auch ihr Blick war voller Verachtung – und zwar für so ziemlich jedermann.
Sie fühlte sich verraten und alleingelassen. Dabei hatte doch alles so gut angefangen. Nagamoto war da, ein Krieger von unglaublicher Kraft. Jetzt entpuppte er sich als Irrer mit Wahnvorstellungen. Und Veyron Swift? Sie hatte ihn für clever und raffiniert gehalten. Stattdessen saß der Kerl nur herum und tat gar nichts! Harry war tot, als letzter Verbündeten blieb ihr nur der Junge. Den Blogger konnte sie auch vergessen, der war diesem Terroristen-Flittchen verfallen. Also der Junge. Was sollte sie mit ihm anstellen? Er reichte ihr gerademal bis zum Kinn und er war auch viel zu jung um ihn für irgendetwas zu gebrauchen. Wer also würde ihr Alec vom Hals schaffen – und Tamara, Said und die anderen? Niemand! Sie müsste es selber tun. Vielleicht in der Nacht, wenn alle schliefen. Vielleicht gab es eine günstige Gelegenheit um abzuhauen. Irgendwo in der Nähe waren ja Einheimische, wie Veyron ihnen versichert hatte. Sie würde fliehen, allein, wenn niemand es bemerkte. Was Alec danach mit den anderen anstellte, war ihr egal.
In der Not ist es wie mit dem Geldverdienen , dachte sie kaltschnäuzig, in erster Linie zähle ich!
Ähnlich finstere Gedanken verfolgten Tamara, auch wenn sie ganz anderer Natur waren. Sie dachte daran, was vom Kampf des Roten Sommers gegen die dunklen Mächte dieser Welt übriggeblieben war. Sie hatte mit ihren Feinden nie Skrupel gezeigt, weder bei ihrer Ausbildung in den Terrorcamps, noch bei den Überfällen auf Geldtransporter, Waffendepots oder bei den „Vergeltungsaktionen“ gegen Staatsmacht oder Managereliten. Der letzte Überfall des Roten Sommers, auf ein Polizeirevier in Chile, ließ sie jedoch nicht mehr los. Sie hatte einem Polizisten gegenübergestanden, einem vom Überfall vollkommen überraschten Mann. Sie schoss ihm ins Gesicht, eiskalt. Dennoch: Ihr Zögern war lange genug gewesen, um seine Angst, seine Überraschung und sein Entsetzen deutlich zu registrieren.
Sein Gesichtsausdruck hatte sich für alle Zeit in ihr Gedächtnis gebrannt. Es war, als hätte er auch auf sie geschossen, doch mit einer weitaus schrecklicheren Waffe: Der Erinnerung. Sein Gesicht verfolgte sie im Traum. Jedes Mal wenn sie seitdem eine Waffe in die Hand nahm, sah sie ihn vor sich. Wie gerne hätte sie das Rad der Zeit zurückgedreht und alles anders gemacht. Jetzt musste sie mit dieser Schuld leben. Sie verfluchte ihre Taten. Der Rote Sommer hatte sich einst gegründete, um die Welt zu verbessern. Rückblickend betrachtet, das musste sie sich eingestehen, waren sie nur eine Bande ideologisch verblendeter Diebe und Mörder. Die Welt wäre ohne sie sicher besser dran.
Es war noch immer stockdunkel, als Fizzler plötzlich aus dem Schlaf hochschreckte. Nur die grellen Blitze des Unwetters sandten alle paar Sekunden ein wenig Helligkeit durch die Schießscharten.
Sein Meister rief ihn!
Der dürre Punkrocker sah sich um. Jeder schlief tief und fest, sogar die Terroristen. Lautlos kroch er hinüber zu dem letzten Rucksack, der ihnen verblieben war und machte ihn auf.
»Stoff«, murmelte er leise. »Ich brauche Stoff, oder ich dreh‘ durch!«
Er wühlte herum, holte Werkzeuge und Veyrons Seil heraus. Seit der Nacht nach dem Absturz hatte er keinen Stoff mehr zu sich genommen, das Verlangen danach wurde mit jeder Stunde größer. Er wusste, dass er süchtig war, hatte versprochen sich deswegen behandeln zu lassen. Aber diese Welt war einfach zu verrückt, um sie länger ohne Stoff zu ertragen, dieses geniale Zeug,
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