Vic Daniel 1 - Down in the Valley
schon, die ich durch einen zackigen Riß in ihrer Gauchohose erspähen konnte. Ihre Augen, zweifellos so blutunterlaufen, daß sie von einem soliden Dunkelrot waren, wurden von einer Wickelsonnenbrille verborgen, deren eines Glas einen üblen Sprung hatte.
»Hey, wa, ey, Alter, was ist denn mit Ihnen passiert?« flüsterte sie, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatte.
»Ich wurde geboren«, flüsterte ich zurück. »Und was haben Sie für eine Entschuldigung?«
»Sie kennen Elroy?« flüsterte sie dann.
»Ich kenne Elroy«, gab ich zu. »Er ist mein Hausbesitzer. Ich mag Elroy. Ich war mal mit der Miete im Rückstand, und da hat er nur gelacht. Nur gelacht, während er mir beide Beine brach.«
»Mann, ey, was stinktn hier so? Das war alles seine Idee«, sagte sie mit fast normaler Stimme. Sie stand immer noch bei der Tür herum, auf dem Sprung wie ein Zebra, das die Löwen wittert, aber noch nicht weiß, wo sie sind.
»Sehen Sie mal«, sagte ich. »Jetzt tun wir mal so, als ob. Kennen Sie das Spiel? Jetzt tun wir mal so, als ob wir beide ausgeglichene, vernünftige Menschen wären. Sie kommen rein. Sie setzen sich hin. Sie sagen mir, worum es sich handelt, egal, was es ist, und dann sage ich Ihnen, ob ich Ihnen helfen kann oder nicht.«
Sie dachte darüber nach, machte die Tür zu und setzte sich schließlich mir gegenüber auf meinen neuen alten Extrastuhl hin. Kaum war sie damit fertig, zündete sie sich eine dieser langen, dünnen, nachgemachten Zigarren an, die von Mädels heutzutage geraucht werden. Im Geiste notiert: Neuen Aschenbecher klauen.
Langsam kam ihre Geschichte zum Vorschein; es dauerte ziemlich lange, aber ich hatte ja auch ziemlich lange Zeit. Sie hieß Sara Silvetti, aber das war nicht ihr richtiger Name, sondern ihr Adoptivname. Sie war Dichterin. Sie war sogar eine erstaunliche Dichterin, wenn man ihren Mangel an Erfahrung bedachte. Sie wohnte bei ihren Adoptiveltern in einem von Elroys Mietshäusern, in demselben, in dem er auch wohnte, in Sherman Oaks, Huston Street, direkt beim Park um die Ecke. Sie war achtzehn und gerade vom Pepperdine College geflogen; nicht, daß ihr das allzuviel ausmachte. Sie sagte mir, nichts mache ihr allzuviel aus. Ich sagte ihr, etwas müsse ihr doch allzuviel ausmachen, denn was hätte sie sonst bei mir zu suchen. Das räumte sie ein, okay, vielleicht machte ihr doch etwas allzuviel aus.
»Zum Beispiel?«
»Elroy meint, ich sollte herausfinden, wer meine richtige Mutter ist«, sagte sie. »Er meint, ich flippe eher aus, wenn ich sowas nicht weiß.«
»Und was meinen Sie?«
»Ich meine, daß er den Arsch offen hat.«
»Naja«, sagte ich, »da könnten Sie rechthaben, und er könnte trotzdem rechthaben.«
Sie seufzte und sah sich nach etwas zum Hineinaschen um. Ich brachte ihr den Deckel der Bromo-Seltzer -Flasche aus der Toilette. Sie betrachtete ihn.
»Ich mag Typen mit Klasse«, sagte sie mit unbewegter Miene. »Also was machen wir?«
»Also was haben Sie bisher gemacht; haben Sie mit Ihren Adoptiveltern darüber gesprochen?«
»Spinnt der Mann?« sagte sie zur Zimmerdecke. »Ist der Mann endgültig kuschelweich unter der Mütze? Ich hab so schon zu Hause genug Probleme.«
Das konnte ich mir gut vorstellen.
»Haben Sie schon mal die Adoptionspapiere gesehen?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wo sie sind?«
»Nein.«
Jetzt war ich mit Seufzen dran. Das tat ich, und zwar tief. »Sara, wissen Sie ein kleines bißchen über die Fakten des Lebens Bescheid?«
Sie warf mir einen Blick zu, der halb Verachtung und halb »Hast du eine Ahnung« ausdrückte.
» Die Fakten des Lebens meine ich nicht, Mata Hari. Ihre Adoptiveltern haben Rechte, sowohl juristische als auch andere. Ich brauche zwar ihre Erlaubnis nicht, wenn ich versuchen will, Ihre richtigen Eltern zu finden, aber genau das will ich nicht, ohne ihnen zumindest zu sagen, was los ist; das nennt man Rücksicht oder Höflichkeit oder beides. Außerdem könnten sie bestimmt eine große Hilfe sein. Sie wissen, von welcher Agentur Sie vermittelt oder von welchem Storch Sie gebracht wurden; sie wissen, wann; es ist sogar möglich, daß sie wissen, wer Ihre richtige Mutter war; vielleicht haben sie sie sogar kennengelernt. Und vielleicht wissen sie auch, daß die Gesetze inzwischen anders sind; heute hat das Kind gewisse Rechte; in manchen Fällen können die Agenturen gezwungen werden, ihre Adoptionsakten offenzulegen. Auf jeden Fall brauchen wir etwas, womit wir anfangen können, das
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