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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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weiter, um sich mit anderen ihrer Art zusammenzutun und so ein neues Wesen zu erschaffen! Deshalb sieht das Gebilde aus wie eine Kiste, nicht wahr? Eine torusförmige Kiste, die das Leben selbst festhält.« Ein Heiligenschein schien über Armbrusters Gesicht zu leuchten, während das Neutrum unablässig in das Drahtgewirr stieß.
    »Ich nenne es den Armbruster-Körper. Zumindest hat die Akademie ihn so bezeichnet. Allerdings bin ich mir noch nicht schlüssig darüber geworden, ob die Struktur lebt oder nicht. Sie scheint genauso etwas Konstruiertes wie etwas Lebendiges zu sein. Ich habe noch nicht herausgefunden, ob und wie der Körper sich reproduziert. Anscheinend ist er unsterblich - wie eine Amöbe -, solange ihm nichts zustößt oder er zu Forschungszwecken oder was weiß ich zerlegt wird … Aber er kann nicht steril sein, es muß da einen Modus der Reproduktion geben, vielleicht wäre Rekonstruktion der passendere Begriff. Und was das Problem seiner Entstehung angeht, nun, so bin ich davon überzeugt, daß der Körper auf natürliche Weise entstanden ist. Weiterhin bin ich davon überzeugt, daß es sich dabei um ein Produkt einer ›Gestalt‹-Entität handelt, die nicht mit einem Intelligenzwesen - ich meine damit bewußtes Wesen - vergleichbar ist; dieser Körper ist das Attribut einer weltumspannenden ›Gestalt‹, die die Intelligenz so vollständig übersteigt, wie die Intelligenz selbst den Instinkt. Die Struktur ist eine Teleologie! Sie hat ein Ziel, das über ihre Bestimmung hinausgeht! Sie hat sich selbst aus den eisernen Ketten der Evolution befreit! Und gerade die Evolution ist es, die den Tod erforderlich macht, die den Tod von allem verlangt, damit das
    Alte dem Jungen Platz machen kann! Aber der Armbruster-Körper setzt sich vom Tod ab. Er zerstört somit das Motiv für den Wettkampf der Arten untereinander. Und er zerstört den Wettkampf zwischen alt und jung.«
    Zitternd vor Erregung sank das Neutrum seufzend auf den Fallschirm. Dann sah es mich mit tadelnder Erheiterung an. »Vid, du glaubst mir nicht! Doch laß dich nicht davon beeinträchtigen, du wirst die Wahrheit noch früh genug schauen.«
    Ich lächelte falsch. Armbrusters Vortrag war mir sehr bekannt vorgekommen; wenn schon nicht dem Inhalt nach, so doch in der Form. Es hatte sich doch überraschend wie die senile Raserei meines alten Patrons, Reichhart MünzScheinberg, angehört. Und ich war mir sicher, daß ein ähnlicher Grund hinter diesem Ausbruch steckte. Mitglieder der Akademie waren genauso wenig immun gegen das Alter wie normale Zeitgenossen. Es schien ganz so, als wollte das Neutrum seine besessene Angst vor dem Tod mit einem dicken Mantel pseudowissenschaftlichen Gefasels verdecken. Seine Kritikfähigkeit war unter dem strahlenden Versprechen persönlicher Unsterblichkeit zerschellt.
    Besessene Spekulationen und Forschungen über die Molekularfunktionen des Lebens schienen die große Mode bei den Alten auf Träumerei zu sein. Mehr noch, es handelte sich dabei um unseren planetentypischen Zeitgeist.
    »Hast du deine Entdeckungen schon an die Akademie gesandt, Professor?« fragte ich.
    Armbruster nickte eifrig. »Ja, vor drei Jahren.«
    Ich verzog resigniert das Gesicht. »Na, das erklärt ja dann wohl die Anwesenheit von Professor Angelhecht. Da fällt mir gerade ein, die taxonomische Mikrobiologie war doch auch sein Spezialgebiet, nicht wahr, Anna?«
    »Ja, ich erinnere mich ganz deutlich daran«, sagte die Heilige.
    Armbruster kreischte und griff sich wie im Wahn mit beiden Händen an die Seiten seines Kopfes. »Angelhecht! Seid ihr ganz sicher, daß sie ihn geschickt haben?«
    »Doch, das haben sie«, sagte ich grimmig. »Und er ist ein wahrhaft flegelhafter Herr. Ich habe ihm den Tod geschworen. Wenn ich das hier überlebe, werde ich meinen Schwur wahrmachen.«
    »Jawohl«, bestätigte Anna mit hoher Stimme, »er hat dich einen ›Scharlatan von einem Neutrum‹ genannt. Danach hat Video ihn körperlich angegriffen, stimmt's, Kid?«
    »Woher willst du das denn wissen?« fragte ich neugierig. »Du warst zu der Zeit doch bewußtlos.« Plötzlich kam mir in den Sinn, daß Armbrusters unerwünschte Wahntheorien die eigentliche Ursache für die Zerstörung meiner bis dahin idyllischen Existenz waren. Wenn es das verlöschende Feuer des GestaltDisputs nicht wieder entfacht hätte, wäre Angelhecht nie nach Träumerei gekommen. Ich hätte ihn nie beleidigt und über den Balkon von Münz-Scheinbergs Haus geworfen. Er hätte mir

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