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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Vögel. Moses hatte wieder alle Tarnung aufgegeben, wie gestern noch, als wir durch das Wasser getrieben waren und geglaubt hatten, mit uns ginge es unweigerlich zu Ende. Das Gesicht des Gründers schien zu leuchten, und in seinen runden gelben Augen war ein Ausdruck, der mich in Schrecken versetzte. Ein kurzer Seitenblick auf Anna überzeugte mich davon, daß Anna ähnlich empfand. Ich wollte die beiden anflehen, damit aufzuhören, aber ich fürchtete mich zu sehr davor, ihre unheimliche Konzentration zu stören.
    Endlich ließen sie von ihrem Händedruck ab. Anna und ich seufzten beide erleichtert. Ich war sehr froh, daß sie mit mir die Erfahrung dieser eigentümlichen Pein geteilt hatte, und ein Blick auf sie belehrte mich, daß sie ebenso dachte. Die Vorstellung hatte nur zwanzig Sekunden angedauert, aber dieser kurze Zeitraum hatte ausgereicht, uns beide einander deutlicher näherzubringen. Ich wollte Anna umarmen, ganz nahe bei ihr sitzen und die Wärme der Jugend, des Menschlichen einatmen. Aber ich hielt mich zurück, denn Armbruster sprach wieder.
    »Du bist Moses Moses.«
    Der Gründer nickte. »Jawohl, Armbruster. Ich bin dem Tod entwischt und auf das Licht zugerannt, während die Zerstörung mir unerbittlich an den Fersen blieb. Aber ich lebe. Ich besitze nichts außer dieser alten Körperschale, aber ich lebe. In mir vergeht alles, bis es in meinem Rumpf widerhallt, aber noch bin ich immer entkommen.«
    Der Professor nickte. »Ja, wir sind Mitglieder derselben Bruderschaft. Du hast ja gesehen, wie mein alter Freund mit dem Tod einen Kompromiß geschlossen hat.« Es nickte kurz und knapp in meine Richtung. »Ich habe meinen Anker gefunden. Er glaubte, er hätte ebenfalls einen, aber sie hat ihn zerstört. Und jetzt zerren meine Feinde auch an mir. Sie streben danach, mich vom Meeresgrund zu reißen, genauso wie diese Insel ihre Wurzelanker losgerissen hat und in diese luftige Höhe der Verzweiflung hinaufgestiegen ist. Aber es soll ihnen nicht gelingen. Und du kannst mir helfen.«
    Moses schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Kraft mehr. Und ich habe nicht deine Gewißheit. Bitte die jungen Leute. Sie verfügen über die Vitalität, die du brauchst; ich leider nicht mehr. Ich besitze gar nichts mehr ... Ich beneide dich sogar um das, was du dein eigen nennen kannst. Du hast das Leben studiert und verstehst es. Du hast einen Sinn im Leben, ich habe nichts.«
    »Aber es gibt einen Weg, Moses.«
    »Du bist wahnsinnig.«
    »Nein! Hast du etwa Wahnsinn in mir gesehen? Denk doch einmal nach, Moses. Sicher, es ist schrecklich, und es ist furchtbar, aber allem, was über große Macht verfügt, wohnt ein Element des Schreckens inne. Und wir können es erringen. Die Unsterblichkeit. Der Weg mag besudelt sein, besudelt vom hohen Alter. Aber auch wir sind dann besudelt. Was könnten wir noch leben, wenn nicht ein besudeltes Leben?«
    Die furchtbare Intensität ihrer Verbindung schien uns Junge zu verbrennen. Anna konnte es nicht länger ertragen. »Hört auf! Bitte, hört doch auf!« Sie preßte die kleinen Hände an die sonnenverbrannten Ohren, zog Arme und Beine an den Leib und machte sich so winzig wie möglich.
    Moses und Armbruster rissen die Köpfe hoch. Das Band ihrer Verbindung war durch Annas Schrei zerrissen. Einen Sekundenbruchteil später trugen sie schon wieder ihre freundlichen, heiteren Masken und stülpten sie sich über, wie einen fleischernen Kondom über einen knöchernen Penis. Plötzlich steckten ihre Köpfe nicht mehr zusammen, unterbrachen sie ihren Blickkontakt. Moses streckte eine Hand aus und führte die Schüssel wieder an den Mund. Armbruster stand auf und strahlte mich mit seinem alten, schutzspendenden Vaterlächeln an, schien mich darin wie in eine warme, alte Decke einzuwickeln. All seine vertrauten Gesten und Züge wirkten plötzlich unerträglich künstlich. Ich konnte das Neutrum nur noch anstarren.
    »Ich habe noch nicht erzählt, was ich auf dieser Insel treibe«, sagte Armbruster freundlich, und schon hatte es mit der Agilität einer Bergziege das Thema gewechselt. »Mich hier anzutreffen, muß euch genauso überrascht haben wie mich, so unvermittelt auf euch zu stoßen!« Es kicherte fröhlich, doch fehlte ihm jede Überzeugungskraft. Anna richtete sich ein Stück auf und rückte näher zu mir. Wir saßen nebeneinander auf dem Boden und berührten uns an Hüften und Schultern. Ich spürte die Wärme ihres Oberarms durch ihre Kleider. Moses Moses beendete stoisch seine Mahlzeit

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