Video-Kid
eingestellt. Sie folgen ihren eigenen Dogmen zu gewissenhaft, um sich auch noch mit so etwas wie der unabhängigen und objektiven Suche nach der Wahrheit abzugeben.
Anna war über diese letzte Bemerkung alles andere als erfreut, und in diesem Moment fiel mir auch zum erstenmal die merkwürdige geistige Verbindung auf, die sich zwischen Moses und dem Neutrum entwickelt hatte. Offensichtlich war Armbruster noch immer auf der Hut und voller Argwohn, und seine Vorsicht hätte sich eigentlich auf den Gründer richten müssen, den einzigen von uns dreien, den es nicht kannte. Aber dies war eben nicht der Fall. Ich entdeckte, daß die beiden sich immer wieder kurze Blicke zuwarfen, Momente des gegenseitigen Kontakts und wohl auch Einverständnisses, die kaum zwei Sekunden andauerten. Fast kam es mir so vor, als würden sie sich in einem Geheimkode der Alten miteinander verständigen. Irgendeine mysteriöse Kommunikation, die die Jungen in ihrer Unausgeformtheit und mangelnden Erfahrung nicht begreifen konnten. Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares erlebt, und es beunruhigte mich augenblicklich zutiefst.
»Ich habe hier eine Salbe für deinen Sonnenbrand«, sagte Armbruster zu Anna. Es erhob sich aus seinem Fallschirmsitz und zog den Deckel einer kleinen, wasserdichten Kiste aus Holz und grünem Plastik hoch. Darin befand sich ein vielfach unterteiltes Fach. Der Professor entnahm ihm ein transparentes, zerdrückbares Röhrchen, das eine klebrige, weiße Masse enthielt. »Soll ich es dir anlegen?« fragte es höflich. »Am Anfang wird es sicher ein wenig brennen.«
»Danke, nein«, sagte Anna. Sie preßte einen kleinen Klecks der Paste heraus, schnüffelte daran und verzog das Gesicht. Dann begann sie damit, sich die Masse auf die Wangen zu reiben.
Armbruster war wie gewöhnlich ungeheuer freigebig. Es stattete Moses und mich mit neuer Kleidung aus - blauen Einteilern. Anna weigerte sich, Sachen zu tragen, die sich so eng an ihren Körper preßten, aber das Neutrum ließ sich davon nicht verdrießen und gab ihr Nadel und Faden, damit sie sich aus dem Ballonmaterial ihre eigenen Kleider fertigen konnte. Dann wärmte es seinen Druckkocher auf und teilte mit uns ein derbes Wildnismahl: Tiefseefischsteaks, Planktonpüree, kleingehackter Seetang und süße Seegrasgrütze.
Wir drei Schiffbrüchigen machten uns wie die Wilden darüber her, während Armbruster mit seinen Eßstäbchen nur auf seinem Teller herumstocherte. Endlich erhob es seine Stimme und sprach leise Worte, die offensichtlich an den Gründer gerichtet waren. »Ich würde gerne der Offenheit eine Lanze brechen.«
»Halten Sie das für weise?« entgegnete Moses. Anna und ich tauschten besorgte Blicke aus.
Armbruster senkte den Kopf und murmelte nahe dem Unverständlichen: »Gefahren der persönlichen Vorherrschaft. Die Maske wird zum Gesicht. Gefangen in der Panan. Zu viele Schritte zurück ... Können Sie mir folgen?«
»Selbstverständlich«, sagte Moses mit tiefer Sympathie. Die Worte des Professors bedeuteten Anna und mir absolut nichts, und uns wurde etwas mulmig zumute. Offensichtlich hatte Moses' Antwort eine Bedeutung für Armbruster, denn es errötete. Ich hatte nie in meinem Leben gesehen, daß der Professor rot anlief, und hatte sogar schon vermutet, dies sei ihm nicht gegeben.
»Es ist schon lange her«, sagte Armbruster. »Also gut, dann herunter mit den Masken. Wir schließen einen Pakt. Sind Sie einverstanden? Besiegeln wir ihn mit einem Händedruck.« Moses setzte seine Schüssel ab und drückte die schlanke, schwimmhautverwachsene Hand des Neutrums.
Beide schwiegen jetzt und sahen einander nur intensiv in die Augen. Anna legte ihre Eßstäbchen neben den Teller, und ich hörte auf, mir die Grütze in den Mund zu stopfen. Die Heilige zitterte. Auch ich hatte Angst. Irgendwie schien es mit einem Schlag in unserer behaglichen Zelle einige Grad kälter geworden zu sein. Einen langen Augenblick hörten wir nichts anderes als das unpersönliche Brummen des Generators und das leise Atmen der beiden alten Männer. Sie schienen synchron Luft zu holen und auszuatmen. Irgend etwas betrieben sie, das wir beiden Jüngeren nicht verstanden, das wir noch nie erlebt hatten. Beide waren so unglaublich alt. Anna und ich konnten uns nicht dagegen wehren, uns von einer übernatürlichen Gefahr bedroht zu fühlen. Ich glaubte zu spüren, daß da eine giftige Macht am Werk war. Eine uralte, kalte und starke Macht, die uns verschlingen konnte wie Vipern kleine
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