Video-Kid
zu sehen. Und dann fiel mir seine besondere Schönheit auf. Das Licht hatte den Boden verwandelt; das matte gelbe Licht unserer Birnen, verbunden mit dem bleichen Schein der phosphoreszierenden Knollen auf den Ballonzellen und verstärkt durch das bläuliche Glühen der Sternhaufen am Horizont. Die federspiralartigen Vertikalen mehrerer hundert Stützkabel verliehen der Szene eine unheimliche Unwirklichkeit, und wenn da nicht der strenge Geruch des Schlamms gewesen wäre, hätte man schwören können, vor einem Mosaik zu stehen. Ein zerbrochenes Puzzle aus zusammengeschrumpften Platten von bröckeligem Erdreich, zusammengehalten von Wurzeln und besetzt mit phosphoreszierendem Grün, das aus den schattigen, schwarzen Zwischenräumen wie Tupfer leuchtete.
»Es ist schön«, sagte ich. »Aber ich möchte gern wissen, wo Moses Moses und der Professor sind.«
Anna sah mich ängstlich an. »Willst du sie wirklich finden, Kid? Ich bleibe lieber allein. Mit dir.«
Das rührte mich. »Wirklich? Ich hatte immer geglaubt, du würdest mich hassen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Kid, warum sollte ich? Es ist nur so, daß der Gründer und Armbruster sich so merkwürdig aufführen. Und wir beide sind ihnen hier auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.«
Ich lächelte zynisch. »Du willst also, daß ich dich beschütze, was? Wie sollte ich? Wenn sie uns wirklich töten wollen, brauchen sie nicht mehr zu tun, als eine kleine Flamme an den Wasserstoff dort oben zu halten. Danach ist von uns kaum mehr als ein paar Klumpen Holzkohle übrig.« Ich genoß den Ausdruck des Entsetzens, der nach dieser kleinen sadistischen Fopperei auf ihrem Gesicht erschien. »Wir könnten nichts dagegen tun. Wie sollte ich sie aufhalten?« Anna wirkte jetzt so unglücklich, daß ich meine Worte bedauerte.
»Ach, Anna, sei doch nicht so dumm. Armbruster ist ein viel zu gutmütiger Mensch. Als dein kostbares Idol Tanglin von allen in seiner Umgebung verraten war und bis zur Halskrause im Wahnsinn steckte, war Armbruster der einzige Freund, den er noch hatte. Der Professor war der Mensch, dem er sich bis zum Tod anvertraute, dem er sein Schicksal in die Hände legte. Der, von dem er sich in seinem neuen Leben erziehen lassen wollte, sollte sein Tutor und seine Eltern sein. Wir brauchen uns also wirklich nicht vor ihm zu fürchten; und vor Moses auch nicht. Beide sind alte Leute, und denen muß man die eine oder andere Grille nachsehen. Schließlich gestehen sie uns ja auch Irrungen und Wirrungen zu.«
»Kid, Tanglin war einst ein großer Mann. Du solltest ihm mehr Respekt zollen. Immerhin warst du einmal er.«
»Nein. Niemals.«
»Das sagst du so, aber ich sehe es anders. Nun, da ich es weiß, fallen mir auch die Ähnlichkeiten auf. Du redest zwar nicht wie er, aber die Art, wie du gehst, wie du ... eben wie du die Augenbrauen zusammenziehst, wie du die Hände bewegst und so weiter. Doch, ich erkenne es. Es ist sehr sonderbar. Überhaupt bist du der sonderbarste Mann, dem ich je begegnet bin.«
Ich winkte ab. »Anna, du bist so naiv! Du bist so voller törichter Selbsttäuschungen! Wann willst du endlich diese blöde Fixierung auf Tanglin stoppen? Glaubst du denn, du wärst die einzige Frau in seinem Leben gewesen? Tod und Leben, er hatte Hunderte von Jüngern wie dich. Er verstand es, mit Leuten umzugehen. Er hat eine richtige Wissenschaft daraus gemacht. Nicht der Respekt vor dir ließ ihn dich so behandeln. Als er dich zum erstenmal sah, kannte er dich schon nach fünfzehn Sekunden in- und auswendig. Danach hat er alles getan, was nötig war, um dich zu seiner bedingungslosen Jüngerin zu machen.«
»Das ist grausam und gemein, Kid. Und es stimmt nicht.«
»Stimmt nicht? Du hast ihm ja noch nicht einmal das Bett gewärmt. Für ihn warst du ein Werkzeug, nicht mehr als eine Nummer. Er hat nie die Zeit oder die Gelegenheit gefunden, dich zu verführen. Du solltest Gott auf den Knien dafür danken, daß Zanks Pritzgift Tanglin ihn so scharf bewacht hat, sonst wäre deine kostbare Keuschheit heute nicht mehr als eine weit zurückliegende Erinnerung.«
Sie wurde wütend. »Von dir hätte ich am allerwenigsten eine Lektion in Sachen Sex erwartet! Was macht dich denn darin zum Experten? Denkst du denn, ich wäre so ahnungslos, bloß weil ich mir das versage? Die erfahrensten Verführer haben sich mir genähert - reiche, mächtige und gutaussehende Männer; auch Frauen, die mir sonst etwas geboten haben, um mit ihnen eine Sünde zu begehen. Du hast
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