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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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wohl vergessen, wie berühmt ich war. Mich ins Bett zu bringen, hätte jedem Mann eine ungeheure Reputation eingebracht. Ich habe vielfältige Versuchungen erlebt und gesehen, aber ich habe ihnen den Rücken zugekehrt, und das ist wohl einiges mehr, als du von dir behaupten könntest.«
    Die Selbstgerechtigkeit ihrer Entgegnung verärgerte mich. »Auch ich habe die ganze Skala solcher Vergnügungen gesehen. Vergiß du nicht, daß ich ein Einheimischer bin, und auch noch der Freund von Münz-Scheinberg! Ich bleibe dabei gelassen und unbewegt, genau wie Armbruster, denn so ist es einfacher für mich. Außerdem hat der Sex mich bereits einmal zerstört. Tanglin, meine ich. Er hat seiner Geliebten und Ehefrau so lange vertraut, bis sie ihm die Eingeweide herausgerissen hat. Ich habe aus diesem Fehler gelernt. Sex ist für mich heute nicht mehr als eine überwindbare Vertracktheit im Leben. Eine Versuchung, der ich zu widerstehen trachte.«
    »Damit stimmen wir ja in diesem Punkt überein«, sagte Anna und sah mich nachdenklich an. »Ich mag dich wegen deiner Offenheit, Kid. Lieber höre ich mir das an als das falsche und schmeichlerische Gerede eines Casanovas oder Betrügers. Bei solchen Männern vergeht mir rasch die Geduld. Sie haben nämlich weder ein Gewissen noch Verantwortungsgefühl. Sie rufen nur Schmerz und Demütigung hervor und weiden sich daran. Das beste, was solche Männer einem bieten können, sind einige Augenblicke sterilen Vergnügens, die einen in Wahrheit nur von der Arbeitsdisziplin und der Verrichtung guter Taten abhalten.«
    Sie blickte mir erwartungsvoll ins Gesicht und wartete darauf, wie ich reagieren würde. Ich nickte leicht und gedankenverloren. Als sie fortfuhr, wurde mir rasch klar, daß es sich hierbei um eines ihrer Lieblingsthemen handelte.
    »Unsere Kirche darf sich, so glaube ich, eines gesunden Menschenverstandes rühmen. Sie akzeptiert die Rolle der Geschlechtlichkeit in der Ehe und die Bedeutung der Heirat im Leben. Wir Kirchenmitglieder vermählen uns nur einmal. Aus diesem Grund besteht die Kirche auch auf einer langen Verlobungszeit … mit einer Dauer von mindestens zehn Jahren. Wäre meiner Sache Erfolg gegönnt gewesen …« Reflexhaft berührte sie die Federn in ihrem Haar, ganz vorsichtig, als striche sie über eine Wunde. »… Vielleicht wäre ich heute schon verlobt. Ich wollte immer heiraten und Kinder haben, um die Linie des Katecheten fortzusetzen. Nun fällt meinen Cousins und Cousinen diese Pflicht zu. Auf mich warten andere Pflichten … zu viele andere. Und jetzt, da ich auf Träumerei lebe, entfällt eine Heirat für mich ohnehin.«
    »Aber du bist doch noch am Leben«, sagte ich.
    »Ja, aber ich könnte es nie auf mich nehmen, in Telset ein Kind großzuziehen. Dafür liegt zuviel Unmoral in der Luft. Ein Kind ist eine heilige Persönlichkeit, und es ist keine leichte Entscheidung, Leben entstehen zu lassen. Außerdem bin ich von der Nachfolgelinie getrennt. Mein Kind würde nicht in der Kirche geboren werden.« Sie hielt inne. »Wenn ich allein auf diesem Planeten wäre, ganz allein mit dem Vater meines Kindes, sähe die Sache ganz anders aus.« Diese hübsche Vorstellung schien ihr Gefallen zu bereiten. Sie lächelte. »Ich glaube an das Leben. Ich möchte, daß das Leben weitergeht, das Leben, das zu mir kam durch meine Mutter, durch ihre Mutter und durch deren Mutter, eine lange Kette, die zurückgeht bis zum Anfang des Lebens selbst. Aber ich bin nicht allein auf diesem Planeten. Ich bin hier nur isoliert. Kirchenmitglieder heiraten nur einmal, und welcher Einheimische würde unter dieser Voraussetzung mit mir zusammenleben wollen? Also ist es für mich besser, gar nicht erst an so etwas zu denken und mein Leben und all meine Kraft dem Rechtschaffenen und Guten zu widmen. Du bist ein Einheimischer. Von daher kann ich mir kaum vorstellen, daß du meine Beweggründe verstehst. Dennoch möchte ich von dir hören, was du von dieser Einstellung hältst, Kid.« Sie sah mich neugierig an. »Ich bin überrascht, daß du nicht schon längst in Gelächter ausgebrochen bist.«
    »Wieso sollte ich lachen?« sagte ich. »Allerdings klingt deine Haltung etwas merkwürdig. Doch da ich dich jetzt besser kenne, glaube ich, nichts anderes von dir erwartet zu haben.«
    Ihre kleine Ansprache hatte ein sonderbares Gefühl in mir erweckt: eine Mischung aus Faszination und Abgestoßensein. Anna hatte so erdig, so uranfänglich geklungen. Besonders ihre Bemerkung über die

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