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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Abstammungskette bis zurück zum Beginn des Lebens. Plötzlich entstand vor meinem geistigen Auge ein Abbild Annas, wie sie affenähnlich, verdreckt und in Felle gehüllt einem nackten Kleinkind die blau verfärbte Brust gab. Ich schüttelte das Bild mit dem Klappern meiner plastiklaminierten Haare ab.
    Anna sah mich erwartungsvoll an. »Jetzt habe ich dir alles von mir erzählt«, sagte sie. »Wie steht es mit dir, Kid? Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus, was willst du erreichen?«
    Ich zuckte die Achseln. »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Davon abgesehen spielen Pläne, die ich mir früher vielleicht gemacht habe, heute sowieso keine Rolle mehr. Jetzt möchte ich nur noch lange genug leben, um Angelhecht und Soforttod das Gehirn aus dem Schädel zu blasen.«
    »Hast du denn keine Zukunftspläne gemacht, bevor diese unangenehme Geschichte ihren Anfang nahm? Erzähle mir doch davon. Erzähle sie mir, ich interessiere mich wirklich dafür.«
    »Na ja«, sagte ich langsam und nachdenklich, »ich bin immer noch jung und eine der schärfsten Nummern in meiner Branche. Ich dachte mir, kämpfe noch ein paar Jahre, schaffe dir noch ein paar Anteile an und steige dann aus der aktiven Kampfkunst aus, solange du noch oben bist. Ich hatte nicht vor, darauf zu warten, bis ein Hirnschaden oder eine Rückgratverletzung meine Karriere vorzeitig beenden würde. Und ich wollte auch nach dem Aussteigen fit bleiben, um einer ehrenvollen Herausforderung nicht aus dem Weg gehen zu müssen. Wahrscheinlich wäre ich von Zeit zu Zeit wieder mit den Kogs herumgezogen, einfach um der alten Zeiten willen.« Ich sah Anna an. Sie schien jedes meiner Worte zu trinken, also fuhr ich mit etwas mehr Enthusiasmus fort:
    »Später wollte ich meinen eigenen Sendekanal haben. Ich hätte selbst alles Material bearbeitet, das über den Sender ging, um sicherzustellen, daß wirklich nur Top-Bänder gezeigt werden. Danach wäre ich Patron geworden und hätte mir eine Gruppe talentierter junger Mündel zusammengesucht, die mir die harte Arbeit abnehmen. Weißt du, genauso, wie MünzScheinberg es betreibt. Ich hätte mir nur die hübschen und angenehmen Sachen herausgepickt - ein bißchen Schneiden und Kopieren hier, ein paar erlesene Kunstbänder dort. Ich wollte zum Beispiel immer mal etwas in Video-Mandalas machen. Irgendwann hätte ich mir dann ein paar Kanäle zusammengekauft und meinen eigenen Konzern gegründet. So ein Komplex, den man in die Welt setzen kann, wenn man fünfundzwanzig oder dreißig Anteile besitzt. Ja, so reich möchte ich gern sein, gut zwei Dutzend Anteile, nicht mehr. Alles, was darüber hinausgeht, wäre sinnlos. Ach so, ja, ich wäre natürlich aus der Entkriminalisierten Zone fortgezogen und hätte mir irgendwo an der Küste eine tolle Villa gebaut, halb eingegraben in die Klippen, wie Armbrusters altes Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Mit einem Dock, einer Luftschleuse und einer hübschen Konstruktion aus Turmkorallen. Damit ausgestattet hätte ich es mir gutgehen lassen; ich hätte ständig Partys und sonstige Festivitäten geworfen, mit vielen interessanten Leuten, die mich Patron nennen. Und Unmengen toller Kunst - ich hätte solche Kunst gefördert, mit der man sich einen großen Namen machen kann. Und jeder hätte sich bemüht, nicht gegen meine ›Hausordnung‹ zu verstoßen, weil er genau gewußt hätte, daß ihn andernfalls der Patron grün und blau schlagen würde. Und gealtert wäre ich auch nicht. Sobald mir aufgefallen wäre, daß in meinem Kopf nicht mehr alles ganz richtig ist, hätte ich meinem Leben auf der Stelle ein Ende bereitet. Sauber, gründlich und effektiv. Ja, das wäre das Leben gewesen, das ich gern geführt hätte.«
    Anna machte eine zweifelnde Miene. »Hört sich irgendwie steril an.«
    »Ja genau«, antwortete ich begeistert, »steril.«
    Anna nickte langsam und sah dann geistesabwesend in eine andere Richtung; hatte sie das Interesse an meiner Zukunft verloren? »Komm, wir wollen die Insel erkunden und nach den anderen suchen.«
    »Prima«, sagte ich, noch immer prächtig gelaunt. »Dann nichts wie los. Ein Frühstück wäre jetzt genau das richtige.« Leichten Herzens marschierte ich neben Anna her und war zufrieden, daß sie die Führung übernahm, während ich nach vielversprechenden Bissen vom Meeresgrund Ausschau hielt. Ich hatte bereits ein paar Muscheln gefunden und reinigte sie gerade vom Schlamm, als Anna unvermittelt stehenblieb und ich gegen sie stieß. »He!«

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