Video-Kid
davon überzeugt, daß du ein gutes Herz hast. Und du hast deine eigene Weisheit, auch wenn sie wahrscheinlich recht ungöttlich ist.«
Scheinberg strahlte, als sei dies das schönste Kompliment gewesen, das je an seine Ohren gedrungen war. Allrot und Starkbein unterdrückten ihr Lachen über Sanktannas Naivität. »Ich bin erst zweiundfünfzig«, sagte Sanktanna. »Du mußt in deinem langen Leben sehr viel Erfahrungen und Weisheit angesammelt haben, auch wenn du nie eine theologische Ausbildung genossen hast. Was verbirgt sich denn nun hinter deiner chemischen Analogtheorie?«
Allrot und Starkbein verdrehten die Augen, aber wir drei hüteten uns davor, Protest einzulegen, gab Scheinbergs Vortrag uns doch die Gelegenheit, nichts sagen zu müssen und den Hauptgang in Angriff zu nehmen: zarten, gerösteten Seebiberschwanz, zu dem man Messer und Gabel gebrauchen mußte.
»Die chemische Analogtheorie ist natürlich, wie der Name schon sagt, eine Analogie«, begann Scheinberg. Er drückte einen Knopf auf dem schweren Armreif an seiner Rechten, und kurz darauf rauschte sein Sekretär Kreidepfeifer, ein Neutrum, auf den Balkon. Scheinberg ließ sich von ihm einen Stift und eine Platte aushändigen und begann, damit zu zeichnen, während er weitersprach. »Wie dir sicher bekannt ist, liebe Sanktanna, ist der menschliche Körper ein ungemein komplexes System, eigentlich ein richtiges Ökosystem mit eigener Flora und Fauna. Das gleiche gilt für die Körperpolitik, anders gesagt, unsere menschliche Gesellschaft. Bei beiden sind die Strukturen und die Reaktionen sehr ähnlich. Nun ist die Geschichte des menschlichen Körpers die seiner organischen Makromoleküle und der Verbindungen seiner separaten Atome - wenn dieser Ausdruck gestattet ist. Genauso ist die Geschichte der Körperpolitik die von kleinen Gruppen oder Cliquen, Verbindungen von Freunden oder Gesinnungsgenossen also. Natürlich will ich bei diesem Vergleich nicht so weit gehen zu behaupten, die Einzelpersönlichkeit in der einen entspräche einem Atom in der anderen. In den meisten Fällen muß man die Einzelperson wohl eher als kleines Molekül ansehen ... etwa als Säure, als Base, als Salz etc. Allerdings betrachte ich sie aus Vereinfachungsgründen als Atome.
Der Effekt eines einzelnen Atoms im menschlichen Körper ist nahezu bedeutungslos. Doch wenn dieses Atom an das richtige Molekül gerät, kann sich sein Einfluß als außerordentlich entscheidend erweisen! Es kommt nicht darauf an, welches betreffende Atom sich mit dem Molekül verbindet, sondern daß es eins von den richtigen Atomen ist und sich mit dem richtigen Molekül zusammentut. Die Art des Moleküls ist das Entscheidende, verstehst du, genauso wie die Beziehungen in einer Gruppe von Freunden entscheidender sind als die einzelnen Freunde selbst. Natürlich sind einige Atome vergleichsweise rar, genauso wie einige Persönlichkeits-Typen seltener vorkommen. Diese können dann einen überproportionalen Einfluß gewinnen. Aber im Endeffekt kommt es auf die Verbindung an.
Ich betrachte mich selbst als ein Enzym, das sich unaufhörlich bemüht, Molekülgruppen zu neueren und potenteren Konfigurationen zu verbinden. Dieses Frühstück hier ist ein solches Bemühen.«
»Mit anderen Worten«, wandte Allrot ein, »es kommt nicht darauf an, wer man ist, sondern mit wem man Umgang hat.« Allrot, Starkbein und ich stopften uns schamlos voll. Wir hatten Scheinbergs drollige und von allen guten Geistern verlassene Theorie schon mehr als einmal über uns ergehen lassen müssen. Solches Gedankenkonstrukt war das sichtbarste Anzeichen für das fortgeschrittene Alter unseres Gastgebers. Immerhin war sie ja nicht abartiger oder blödsinniger als andere Theorien, die von Leuten seines Alters aufgestellt wurden. Man brauchte ja nur an Rominuald Tanglins fixe Idee zu denken.
»Ganz genau! Solche Bemerkungen beweisen ein intuitives Verstehen dieses Prinzips«, freute sich Scheinberg. »Ich will einmal ein konkretes Beispiel vorführen. Vielleicht kennst du dieses Molekül, Delta-1-Tetrahydroncannabinol.« Er hielt Sanktanna die Platte vors Gesicht.
»Es handelt sich dabei um ein mildes Halluzinogen und Euphorikum«, erklärte Scheinberg. »Wie du siehst, ist seine Struktur relativ simpel. Dreiundfünfzig Atome, allesamt Kohlenstoff, Wasserstoff oder Sauerstoff. Kein Stickstoff oder Silizium stört hier wie in so vielen anderen Drogen. Ich habe mich dazu entschlossen, vorsätzlich entschlossen, seine Struktur als
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