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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Anruf unter ›Groll‹ oder unter ›Drohungen‹ abgelegt?«
    »Ich glaube unter ›Groll‹, Schatz«, ertönte Eisdames Stimme aus dem Off.
    »Ach, herrje! Ich fürchte, die Kapazität der Grollablage hat gestern ihre Kapazität überschritten … Du kennst doch diese Wichtigtuer, Kiddy, die jede Statusdegradierung so verdammt persönlich nehmen ... Wie dumm, der Anruf ist sicher verloren. Der betreffende Herr hat mir fünfhundert Anteile geboten, wenn ich dir das Hirn aus dem Kopf prügele.«
    »Kanntest du den Mann?«
    »Er trug eine rote Maske und schien alt zu sein, sehr alt sogar. Natürlich läßt sich das schwer sagen. Offensichtlich kennt er sich kaum mit der Kampfkunst und ihren Gesetzen aus, sonst hätte er sich statt an mich lieber an einen deiner Feinde gewandt. Ich bin aber sicher, daß er inzwischen schon einen anderen gefunden hat. Er wirkte ziemlich entschlossen.«
    »Fünfhundert Anteile ist nicht schlecht.«
    »Für dich, mein lieber Engel Kiddy, hätte ich mindestens fünftausend verlangt.«
    »Du machst mich ganz verlegen, Frost.« Ich schaltete ab.
    Am Neujahrstag kam die Video-Kid-Partei zusammen, um mich mit großem Pomp durch die Entkriminalisierte Zone zu tragen. Die Zone ist nur selten bevölkert. Die meisten zerstörten Gebäude sind verlassen.
    Aber an diesem Tag drängten sich die Leute in der Zone dicht an dicht. Wie immer bescherte mir der Anblick einer solch riesigen Menge ein unheimliches Gefühl. In den ersten zwanzig Jahren meines Lebens war ich, bis auf Professor Armbrust, die Bänder und einen gelegentlichen Besucher, allein auf dem Riff gewesen. Und auch heute noch, nach acht Jahren in Telset, beunruhigten mich Menschenmengen.
    Alle möglichen Harlekinade-Kostüme waren hier vertreten. Das Motto dieser Saison schien unsere Geschichte zu sein: Hochgleiter-Kostüme, die düstere Tracht der BergwerksIngenieure aus der Frühzeit unserer Gesellschaft, das schwarze und verwaschene Gelb der Konföderations-Beamten, die dekadenten, sechshundert Jahre alten Galaanzüge des niwlindischen Direktoriums - und natürlich die unzählig vielfältigen Kombinationen; Mutationen, Übertreibungen und Verfälschungen, bis auf die kleinste Faser mit der verspielten und gleichzeitig zynischen Genialität unserer Welt ausgestattet. Andere hatten sich als historische Persönlichkeiten verkleidet: Mitglieder unseres Direktoriums, beliebte Künstler, Komponisten oder Wissenschaftler, ertrunkene Schwimmer aus Aquaria, der Stadt mit dem ungnädigen Schicksal und wahnsinnig gewordene Plutokraten aus den ersten Tagen des überstürzten Expansionismus'. Und schließlich die Advokaten des rein Bizarren, so zahlreich vertreten wie Fliegen im Sommer: Leute in Fischkostümen, als Insekten, Vögel, Krebse oder Quallen verkleidet, Leute, von Kopf bis Fuß in Fellen gewandet oder mit Spiegeln wie mit einer zweiten Haut angetan, Leute ohne Gesichter, mit vier Armen oder acht Beinen, Leute in Ketten, in Spinnweben oder in einer blubbernden Schaummasse, Leute, kostümiert als Tote, als Lebende, als noch nicht Geborene oder solche, die nie geboren werden würden. Und über allem zahllose Kameras.
    Es bedurfte schon eines besonderen Anlasses, um die ganze über Telset verstreute Bevölkerung zusammenzubekommen, aber die Harlekinade war dazu bestens geeignet. Alle waren gekommen, über dreihunderttausend Menschen. Eine so gewaltige Menge, daß sie ein unheimliches Eigenleben entwickelte. Vielfarbige Ströme und Fasern von Menschen strömten in die Menge hinein und aus ihr heraus, wie das Treiben des Protoplasmas einer Amöbe. Bunte Tragen und Sänften bewegten sich träge wie Einzeller auf Nahrungssuche über den Köpfen in der Menge. Ich rollte das Dach meines Palankins zurück und stellte mich aufrecht hin, als wir uns dem angeschwollenen Rand der Menge näherten.
    Kameras trieben in der Luft wie heiße Fetttropfen über einem Stück Fleisch in einer Bratpfanne, und die Menge selbst zischte, als brutzele sie. Tausende Gespräche, gemurmelte Gerüchte oder Zärtlichkeiten, immer wieder schrilles Lachen, das sich zu einem anonymen Brodeln, Krachen und Zischen wie von einem Leerband verband, das man zu laut aufgedreht hat. Maskierte Gesichter drehten sich zu mir um. Ein Flüstern entstand und verbreitete sich rasch. Man hatte mich gleich erkannt. Einige fuhren vor mir zurück, andere traten vor. Ich hatte einen ausgezeichneten Überblick, als meine Klientel in die Menge eindrang.
    Ich hatte meinen Auftritt bis zum

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